H. 369. Die Uebermacht der Kirche im Zeitalter der Kreuzzüge. 677 
„von den Wundern Christi" als Einleitung diente. Wie die beiden ersten, enthält auch das 
Buch von den vier Evangelien ein kurzes Leben Christi mit Hinzufügung der Vorbildlichkeiten aus 
der Geschichte des alten Bundes, anhebend (den ersten Worten des Evangeliums Johannis gemäß) 
mit der Schöpfung der Welt und des Menschen und darum, „von dem. Anegenge" genannt. 
In demselben wird das Verhältniß zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen dem alten und 
dem neuen Bunde in bildlicher Sprache vorgeführt und daran die Mahnung geknüpft, „im ißet* 
trauen auf den guten Führer den Kampf mit bem Bösen um unser Erbtheil zu kämpfen, unter 
dem Segel des Glaubens auf dem Meere dieser Welt zum Himmel, unserer Heimath, zu steuern". 
Denselben Gegenstand behandelt auch das jüngere „Anegenge" aus dem 12. Jahrhundert, aber 
mit weniger Schwung und mit gesuchter Rhetorik.— Die trübe Zeitstimmung über die einreißende 
Unsittlichkeit der Zeit findet in den Lehrdichtungen eines österreichischen Schriftstellers der Laien¬ 
welt, „der arme Knecht Heinrich" genannt, „von des Todes Gehügede", „vom Pfaffenleben", 
„vom gemeinen Leben" einen deutlichen Ausdruck. Nachdem er die Hoffahrt und Ueppigkeit der 
Pfaffen gerügt, „die da wähnten das Himmelreich mit herrlicher Speise, mit wohlgesträhltem Barte 
und hochgeschorenem Haar erwerben zu können und durch ihr böses Beispiel die Laien verleiteten, 
so daß der Blinde den Blinden in die Grube führe", wendet er sich gegen die Frauen, „die einher¬ 
gehen in langen Gewänden, daß der Falten Nachwurf den Staub erregt, als ob das Reich bei 
ihrem hoffährügen Gange desto besser stehe, die mit fremder Farbe auf der Wange und mit gelbem 
Gebände über ihren Stand wegstreben", und tadelt endlich die Ritter wegen ihrer schlimmen Sitten, 
„daß sie den Armen nichts geben und in ihrer Unterhaltung nur buhlerische Reden führten und 
sich des Bösen rühmten, das sie gethan". In dem Gedichte „vom Pfaffenleben", das wohl dem¬ 
selben Verfasser angehört, wird mit scharfen Worten gerügt, „wie sich die Geistlichen in das neue, 
gehobene Leben des Ritterstandes einmischen, wie sie denBecher reichen, auf weichen Polstern manches 
Spiel beginnen, von Minne reden, davon sie viel schreiben hören, und von dem Umgang mit wohl¬ 
gethanen Weibern wohl gern die Laien ausschlössen, da sie doch keine um sich dulden sollten, als 
Mutter oder Schwester". 
IV. Die Uebermacht der Kirche im Zeitalter der Kreuzzüge. 
1. Der erste Kreuzzug (1096—1099). 
§. 369. Die morgenländische Welt. 1. Das byzantinische (oft¬ 
römische) Reich. Das byzantinische Reich ging langsamen Schrittes seinem Verfall 
entgegen. Ein sittenloser, wollüstiger Hof, wo Ränke, Buhlereien und sinnliche Genüsse 
die Würze des Lebens bildeten; ein mächtiger, herrschsüctiger Klerus, der nur auf 
Mehrung der Kirchen und Klöster bedacht war, den Aberglauben wach erhielt, durch 
religiöse Streitfragen die Leidenschaften reizte und Spaltungen und Parteiungen hervorrief; 
ein trotziges, großentheils aus fremden Söldnern und barbarischen Hillfsvölkern bestehendes 
Heer, allezeit bereit, den ehrgeizigen Bestrebungen und Verschwörungen der Führer durch 
das Schwert Nachdruck zu geben - dies sind Jahrhunderte hindurch die gewöhnlichen Er¬ 
scheinungen der byzantinischen Reichsgeschichte. Nur von Zeit zu Zeit, wenn ein kriegeri¬ 
scher Geist einen oder den andern der Kaiser oder Heerführer überkam, _ geschahen im Felde 
Kriegsthaten, die an altrömische Heldenzeit und militärische Tugend erinnerten. Dagegen 
fanden Künste und Wissenschaften, Gesetzgebung und Staatsverwaltung, bürgerliche Ordnung 
und gesellige Bildung an den meisten Kaisern eifrige Pfleger und Förderer. Aber die 
Wissenschaften waren, mit Ausnahme der Rechtsstudien, ohne lebendige Triebkraft; man 
zehrte blos an den Erzeugnissen der alten Welt und verfaßte Auszüge, Sammlungen, 
Grammatiken und Wörterbücher; Schwung und Poesie mangelten gänzlich. Ein großes 
Verdienst hatte jedoch das byzantinische Reich; es diente als Wall und Grenzmauer wider 
das mächtige Khalifenreich und die wilde Seldschukkenmacht und barg die alte Bildung so 
lange in seinem Schooß, bis das christliche Abendland zur befruchtenden Aufnahme reif 
genug war.
	        
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