§. 689.
von der Reformation bis zum Zeitalter Ludwigs XIV.
181
Gesellschaft und Stifter des Elbschwanenordens und galt für einen unfehlbaren Geschmacksrichter.
Durch vielfache Verbindungen, durch Loben, Schmeicheln und Gunstbezeugungen erwarb er sich
eine Menge Freunde, die ihn verherrlichten. Ein religiöser Eiferer, scheute er sich doch nicht, auf
seinen Gegner Zesen Verleumdungen und Verdächtigungen zu häufen. 4) PH. Harsdörfer,
Klay und der auch als Geschichtschreiber bekannte Birken, die Stifter der Gesellschaft der 81.
Pegnitzschäfer oder des gekrönten Blumenordens. Dieser Dichterbund dauerte am
längsten aus, weil er in Nürnberg, dem Hauptsitz des Meistergesangs, auf volkstümlichem Boden
ruhte. H.irtenpoefie und Schäfergedichte, worin ihnen theils Opitz (in seiner Hercynia),
theils die italienischen Dichter Vorbild waren, galten ihnen als höchste Gattung der Poesie, die
sie daher in verschiedenen Formen, als Schäfer-Romane, Allegorien, Sinngedichte, Parabeln,
Fabeln u. s. w. ausbildeten. Eine Dichtungsart, bei der alle Handlung wegfiel und der Stoff
wenig Interesse einflößte, mußte auf Abwege gerathen; sie setzte ihren Werth ans Ueberladenheit
und Schwulst und in Künsteleien mit Klingreimen und Naturlauten, wozu die deutsche Sprache
weniger geeignet ist als die romanischen. Die dramatischen Sing- und Schäferspiele dieser Dichter
gaben, wie erwähnt, der Oper ihre Entstehung.
§. 689. Zweite schlesische Schule. Andreas Gryphius aus Glogau war der @^u8
begabteste und vielseitigste unter den schlesischen Dichtem. Harte Schicksalsschläge, die ihm nach i6i6—64.
einander Vater, Mutter und zwei Geschwister raubten und ihn selbst aufs Krankenlager warfen,
erzeugten in seiner Seele eine schwermüthige Stimmung, die sich in dem düstern Ton seiner
Gedichte, in seinem Hang zu Schwärmerei und Aberglauben und in seinem mystischen Gefühlsleben
kund gab und durch seine großen Reisen in die meisten europäischen Länder nicht getilgt ward.
„Die Herrlichkeit auf Erden muß Staub und Asche werden." Ernst und Tiefe des Gefühls hielt
ihn sern von dem Reimgeklingel der Pegnitz-Dichter wie von der Verstandespoesie der Opitz'schen
Schule, und war auch er von Fehlern und Verirrungen nicht frei, so flössen diese doch aus einer
poetischen Natur. Er führte Gemüth und Phantasie in die Poesie zurück und beschränkte sich
nicht auf die geistliche Dichtung („Kirchhofsgedanken") und weltliche Lyrik (Oden, So¬
nette u. st.), sondern bildete auch das Drama aus, sowohl die Tragödie („Ermordete Majestät
oder Carl Stuart", „Leo der Armenier", der „sterbende Pap in i an" u. o.) als die Komödie
(Peter Squenz; Horribilicribrifax u. st.), und in seinen kernhaften und gedrungenen Satiren
hält er den „titelsüchtigen, lügenhaften, modeverderbten Sitten der Gegenwart" die Einfalt der
alten Zeit treffend entgegen. — Gryphius war von der Natur mit allen Gaben ausgerüstet,
das deutsche Drama umzubilden; aber theils der Mangel einer deutschen Bühne, theils die
Gleichgültigkeit und mangelhafte Bildung des Volks, theils seine eigene Weltverachtung standen
ihm im Wege. Statt die Welt und die Menschen in der Wirklichkeit des Lebens zu beobachten
und sich an nationale Stosse zu halten, schöpfte er aus Büchern und arbeitete nach gelehrten
Vorbildern, wobei er unglücklicherweise auf Seneca verfiel (§. 257), dessen hochtrabende, fenten-
tiöse Sprache und Uebertreibungen seinem ernsten Sinne zusagten, und anstatt in Handlung,
Lebendigkeit und Charakterzeichnung seine Größe zu suchen, führte er Declamation, Wort- und
Redereichthum ein, gefiel sich im übertrieben Tragischen, in unnatürlichen Leidenschaften und
Tugenden und suchte durch das Gewaltige und Schreckliche Effect zu machen. Auch den dem
neuern Drama fremdartigen Chor (Reigen) entlehnte er den antiken Vorbildern. Sein Peter
Squenz (eine dem Sommernachtstraum des Shakespeare entnommene Rolle) ist eine gelungene
Persiflage der „eingebildeten Bettelpoeten und hochnäsigen Schulmeister" seiner Zeit. Im
Horribilicribrifax verspottet er die prahlerischen Kriegsleute, die sich damals überall zeigten, die
Eisenfresser und Bramarbas. Beide sind ein Fortschritt aus der alten Fastnachtsposse zur
höheru Komik. „
In beiden Gattungen fand Gryphius Nachahmer; in der Tragödie folgte ihm der als ^er-
fasier eines historischen Romans (Arminius oder Hermann und Thusnelda) und als schwülstiger
Lyriker bekannte Breslauer Kaspar Lohenstein; in der Komödie Christ. Weise (+ 1708 m 1635_S3.
Zittau). Jener behandelte in seinen Dramen die schrecklichsten Gräuel und Mordscenen aus der
römischen und türkischen Kaiserzeit in einer den Italienern entlehnten kunstgerechten Form mit
einer Masse ungeeigneter Gelehrsamkeit. Der „Mordspektakel", der in Ayrer's Volksstücken mit
Widerwillen erfüllt, kehrt in Lohensteins Sophonisbe, Agrippina, Kleopatra, Ibrahim Bafsa
u. a. in aller Rohheit und Gemeinheit wieder und verletzt um so mehr, als er in einer pomp¬
haften, sententiösen, mit Bildern und Gleichnisien überfüllten Sprache auftritt. Den Gegensatz