§. 565. 566. Die Begründung der neuen Zustände unter Karl V. 
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2. D i e deutsche Reformation. 
a) Die Stimmung in Deutschland. 
§. 565. Seitdem die Hoffnungen, die man auf die großen Concilien in 
Constanz und Basel gesetzt, verschwunden waren, herrschte in Deutschland unter 
allen Ständen Verstimmung und Unzufriedenheit über die kirchlichen Zustände. 
Die Fürsten zürnten, daß alle Mahnungen an die Päpste zu einer freiwil¬ 
ligen Selbsterneuerung unbeachtet geblieben; daß die geistliche Gerichts¬ 
barkeit den weltlichen Rechtsgang hemmte; daß der päpstliche Hof durch Aus¬ 
dehnung seiner Dispensationsrechte und anderer Befugnisse Alles an sich reiße; 
daß durch die Annalen (die dem ersten Jahresertrag gleichkommende Abgabe für 
die Ertheilung der bischöflichen Würde), die Pfründenverleihung an auswärtige 
Cardinäle, die Sportelerhebung und die mannichfache Besteuerung der Landes¬ 
kirchen das Geld aus dem Reiche gehe; die deutschen Prälaten waren ungehalten 
über die Eingriffe der römischen Curie in ihre Rechte; die niedere Geistlich¬ 
keit sah mit Neid auf die Bettelmönche, die, von dem römischen Stuhle mit 
hohen Vorrechten begabt, jene um allen Einfluß bei dem Volke brachten. Die 
Frommen nahmen Aergerniß an dem weltlichen Treiben der Prälaten und der 
Sittenlosigkeit so vieler Geistlichen; die Aufgeklärten waren empört über den 
beim Volke absichtlich genährten Aberglauben, der sich in dem übertriebenen 
Bilder- und Reliquiendienst und in der Verehrung der Heiligen kund gab; die 
Gelehrten sahen mit Verachtung auf die Unwissenheit, den Stumpfsinn und 
die Geistesträgheit so vieler Mönche und Geistlichen herab, während sie zugleich 
den künstlichen Bau der Scholastik und Kirchenlehre erschütterten, theils mit den 
philosophischen Waffen des klassischen Alterthums, theils durch Forschung in der 
dem Volke gänzlich entzogenen heiligen Schrift und in den ersten 
Kirchenvätern (so Joh. Goch, Joh. Wessel, Joh. v. Wesel u. A.). Die Reichs¬ 
städte sahen sich durch die Befreiung der Geistlichen von ihren Gesetzen und 
Einrichtungen vielfach beeinträchtigt; ihre Zunftrechte wurden häufig verletzt, das 
Asylrecht hemmte die Handhabung der städtischen Justiz und Polizei, die Klöster 
und die vielen Feiertage begünstigten Bettelei und Vagabundenleben, dem der ehr¬ 
same Bürgerstand vor Allem gram war — kein Wunder also, daß die Volks- 
literatur, die damals in den Städten blühte, ihre Angriffe, ihre Satire 
und ihren Spott vorzugsweise gegen Mönche und Geistlichkeit richtete und hierin 
mit dem Streben der Humanisten zusammentraf. — Noch war in Sachsen und 
den Nachbarländern der Same der hussitischen Ketzerei nicht ganz unter¬ 
gegangen und nährte in dem gemeinen Mann, dem die hohen Stolgebühren oft 
wehe thaten, während er in Zeiten der Trübsal umsonst sich um Hülfe und 
Trost an den gleichgültigen Seelsorger wandte, den Geist der Opposition. 
b) Dr. Martin Luther lgeb. 10. Nov. 1483, *h 18. Febr. 1546). 
§. 566. Martin Luther wurde geboren zu Eislebe n am 10. Nov. 1483. 
Sein Vater war ein ehrsamer Bergmann aus einem Bauerngeschlecht in Möhra, 
der später nach Mansfeld übersiedelte. Hier in der gesunden Bergluft des Thu-
	        
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