§. 1021 Kirchliches. 683 
freiere Erziehung auf gemischten Universitäten von manchen Vorurtheilen geheilt wor¬ 
den, drangen auf Landessynoden, um zeitgemäße Reformen zu erzielen, bekämpften 
das unnatürliche Gebot des Cölibats und verlangten ein dem Protestantismus an¬ 
näherndes Kirchenwesen durch Gestattung der Landessprache beim Gottesdienst, durch 
Freigebung der heiligen Schrift, durch Abstellung der Werkheiligkeit mittelst eines auf¬ 
klärenden Volksunterrichts u. dgl. m. 
Im badischen Oberland fand diese Richtung viele Anhänger, und da man diese Er¬ 
scheinung der Wirksamkeit des trefflichen Freihernt von Wesseriberg beimaß, so wurde er von 
der bischöflichen Verwaltung in Konstanz verdrängt, ein Beweis, „vaß kein Verdienst um die 
Kirche groß genug sei, um für eine freie und deutsche Gesinnung in Rom Beleihung zu fin¬ 
den." — In Bonn suchte Hermes im Gegensatz zu dem römischen Autoritätsglauben, „der 
nicht über den Zweifel zu erheben vermöge", den Katholicismus dadurch zu stärken, daß er mit 
Mitteln der Philosophie einen Vernunftglauben herzustellen strebte, welcher dem Offenbarungs- 
glauben zur Voraussetzung und Befestigung dienen sollte. Seine Ansichten erlangten das Ueber- 
gewicht in den rheinischen Unterrichtsanstalten. Aber die Gegner der Hermesianer erwirk- 
ten in Rom eine Breve, das die Schriften des verstorbenen Hermes verdammte. Vergebens 
suchten dessen Schüler den heil. Vater von der Rechtgläubigkeit ihres Meisters zu überzeugen 
und nachzuweisen, daß die Prüfung seiner. Schriften ungenau und ohne Kenntniß deutscher 
Sprache und Wissenschaft geschehen sei; das Verdammungsurtheil blieb in Kraft und der Erz¬ 
bischof von Köln ließ im Beichtstuhl verbieten, bet Hermesianern Vorlesungen zu hören. Einige 
Jahre später wurden die zwei thätigsten Hermesianer ihrer akademischen Aemter in Bonn ent- 
hoben. Gleiches Schicksal wie Hermes hatte, bei ähnlichen Bestrebungen, der Wiener Welt¬ 
priester A. Günther. — Zugleich wurde die entgegengesetzte Ansicht des Franzosen Louis 
Bautain, daß die katholische Kirche keiner Beweismittel durch die Vernunft bedürftig oder fähig 
sei, ebenfalls verdammt. — In Regensburg, Ingolstadt u. a. O. Bayerns übte der fromme 
Sailer in früheren Jahren eine große Wirksamkeit, die noch nicht ganz verschwunden ist. Er 
versammelte einst um sich einen Kreis von Jünglingen, „deren Christenthum Erlösung, deren 
Religion ein warmes Gefühlsleben war. Daher Geringachtung kirchlicher Werke, Empfehlung 
Fenelons und Lavaters, Befreundung mit würtembergischen Pietisten. Von den Romanisten 
verfolgt, von den Liberalen verhöhnt, sind Einige aus diesem Kreise mit der Kirche zerfallen." 
§. 1021. Der Streit über die gemischten Ehen. Als einen Apfel der 
Eris warf der böse Feind den Streit über die gemischten Ehen in das gespaltene 
Deutschland, um dem Streben nach Einheit einen neuen Damm entgegenzustellen. Die 
katholische Kirche in Preußen, unwillig, daß sie einen protestantischen Staat unterwor¬ 
fen, vergalt dem frommen König Friedrich Wilhelm III. die Rücksichten, die er ihr 
durch Bereicherung ihres Klerus, durch Errichtung von Kirchen und Schulen, durch Wie¬ 
derherstellung der Majorats- und anderer Herren-Rechte an den rheinisch-westfälischen 
Adel bethätigte, mit wenig Dank. Seit dem westfälischen Frieden war die Scheidewand, 
die jede Verbindung zwischen den beiden christlichen Confefsionen gehindert hatte, ver¬ 
schwunden und die deutsche Volkssitte hatte, wenn auch nicht mit ausdrücklicher Einwil¬ 
ligung, so doch ohne Widerspruch der Kirche, gemischte Ehen zugelassen, wobei sich das 
Gewohnheitsrecht bildete, daß, wo nicht ausdrückliche Eheverträge anders bestimmten, die 
Kinder je nach dem Geschlechte dem Glauben der Eltern folgten. Dieses Gewohnheits¬ 
recht hatte in die Gesetzgebung verschiedener Länder von gemischter Bevölkerung, als dem 
Grundsätze der Rechtsgleichheit entsprechend, Eingang gefunden. Im Jahre 1825 wurde 
das preußische Gesetz, wonach bei Mischehen die Kinder sämmtlich im Glauben des Vaters 
erzogen werden sollten, wenn nicht der einmüthige Wille beider Eltern anders verfügte, 
auch auf Westfalen und die Rheinprovinz ausgedehnt. Da hier nun häufiger der Fall 
eintrat, daß protestantische Männer der ältern Provinz sich mit katholischen Töchtern des 
Landes vermählten, als umgekehrt, so gerieth die Geistlichkeit in Besorgniß, die katho¬ 
lische Kirche möchte verkürzt werden. Die rheinischen Bischöfe holten in Rom Verhal¬ 
tungsbefehle ein. Ein Breve des Papstes erklärte gemischte Ehen für unerlaubt, doch 
für gesetzlich gültig, und gestattete die kirchliche Einsegnung nur unter der Bedingung, 
Wessenberg 
1774-1860. 
Herme- 
t 1831. 
1835. 
1844. 
Günther 
t 1863. 
Sailer 
1751—1832. 
Köln. 
25. Mär) 
1830.
	        
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