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er 1771 nach Bückeburg berufen hatte; von der Landgräfin Karoline
von Darmstadt, welche eine Sammlung Klopstockscher Oden drucken
ließ, wünschte Wieland, sie möchte Königin Europas sein. Am
Hofe zu Darmstadt las Schiller seinen Don Carlos, eine Vorlesung,
welcher Herzog Karl August von Weimar beiwohnte, und welche
dem Dichter den Titel eines Rates verschaffte. Preiswürdig war
die Teilnahme der Höfe von Gotha, Koburg und Meiningen am
literarischen Streben. Hier galt besonders der Humor und sein
genialster Vertreter Jean Paul.
Der Mittelpunkt aller dieser Bestrebungen, welche mit Kunst
und Literatur zunächst das Hofleben schmückten, dann aber durch
den Schutz und die ungetrübte Muße, welche den dichterischen
Talenten gewährt wurde, auch die deutsche Literatur selbst förderten,
wurde der herzogliche Hof von Weimar. Dort treffen wir um das
Jahr 1800 den Patriarchen der deutsch-französisch-griechischen Schön¬
geisterei Wieland, den Vater einer gebildeten und geschmackvollen
Gefühlstheologie Herder, den Frankfurter Patriziersohn Goethe, der
sich aus einem jugendlichen Stürmer und Dränger in einen würdigen
kleinstaatlichen Minister verwandelt, und endlich den ehemaligen
Regimentsmedikus Schiller, der inzwischen Hofrat und Professor
geworden und in Weimar die Reihe seiner tragischen Meisterwerke
vollendete.
Der älteste in diesem Kreise war Wieland, welcher im Jahre
1772 von der Herzogin Amalie als Erzieher des Erbprinzen nach
Weimar berufen worden war. Die Herzogin Anna Amalie von Braun¬
schweig, seit 1756 mit dem Herzog Emst August Konstantin von Wei¬
mar vermählt, doch schon seit 1758 Witwe, war eine durch geistige
Empfänglichkeit und Strebsamkeit hervorragende Fürstin, die sich
nur in einem Kreise voll frischlebendiger Anregungen wohl fühlte.
Die Sympathien mit Wielands geistigem Streben ließen die Nichte des
großen Friedrich diese Anregungen nicht nach Art und Weise ihres
Onkels jenseits des Rheines suchen, sondern bei der deutschen Muse.
Wieland übte nun bald eine Anziehungskraft auf verwandte, wenn
auch minder produktive Naturen. Bertuch, der Übersetzer des Don-
Quixote, siedelte nach Weimar über; vor allem aber der Übersetzer des
Lucrez und Properz, ein preußischer Offizier, Karl Ludwig
von Knebel, der, von Wielands Persönlichkeit gefesselt, seit 1773
in Weimar blieb und die Erziehung des jüngsten Prinzen übernahm.
Knebels klassisch gebildete, feine, aneignungsfähige Natur, wenn
auch nicht frei von Sonderlingsgrillen und krankhafter Verstimm-
barkeit, machte ihn zum Vertrauten unserer klassischen Poeten, welche
ihn in ihre dichterischen Pläne einweihten und seinen Geschmack
gern zum Richter über ihre Schöpfungen machten.