Full text: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

erscholl und das edle Gestein von dem Schilde zur Erde fiel. Hagen 
strauchelte unter solchen Schlägen, und ihm wäre die Stunde des Todes 
gekommen, hätte der Wunde ein Schwert gehabt. 
Aber nun schwand Siegfried die straft; seine Farbe verblich, er 
fiel in die Blumen, und das Blut rann wie ein Strom aus der Wunde. 
Da bat er: „Wollt Ihr mir, o König, auf dieser Erde noch irgend¬ 
eine Treue erzeigen, so laßt Euch mein Weib empfohlen sein; denn 
sie ist ja Eure Schwester!" Dann sank sein Haupt zurück in das Gras, 
und der Held war tot. Da legten die Mörder ihn auf einen Schild 
und berieten, was nun geschehen sollte. Einige schlugen vor, man sollte 
sagen, er sei von Räubern erschlagen worden; Hagen aber rief: „Ich 
bringe ihn nach Hause und frage nicht danach, ob Kriemhild weiß, 
wer es getan, denn meine Königin ist nun gerächt!" 
Wie Siegfried beklagt und begraben ward. Der hart¬ 
herzige Mann ließ den erschlagenen Siegfried vor das Schlafzimmer 
Kriemhildens tragen und vor ihre Tür legen. Als sich nun am andern 
Morgen die Königin zum Kirchgang anschickte, fand ein Kämmerer 
den Leichnam, ohne zu ahnen, wer er sei, und meldete ihr, daß ein 
erschlagener Mann vor der Tür liege. Ehe sie ihn gesehen hatte, wußte 
sie, was geschehen war; sie trat herzu und sank lautlos zur Erde. Lange 
lag sie so da, dann schrie sie auf, daß das Gemach erscholl: „Es ist 
mein lieber Mann! Brunhild hat's geraten, und Hagen hat's getan!" 
Sie glitt an Siegfried nieder, hob sein schönes Haupt mit der Hand 
empor und klagte: „O weh, dich fällte Mörderhand!" Mit ihr weinte 
das ganze Gesinde. Boten aber holten Siegfrieds Ritter und den alten 
Vater herbei. Da erhob sich ein starkes Jammern von allen Seiten im 
Palast und in der Stadt Worms, denn allen war der Held teuer ge¬ 
wesen. Besonders aber jammerte Siegmund, der alte König, welcher 
nun des herrlichen Sohnes beraubt war. Niemand konnte ihn und Kriem- 
hild trösten. Man mußte jedoch daran denken, den Toten zu bestatten. 
Es wurde ein Sarg bereitet von Silber und Gold, in ihm trug man 
den Helden in der Frühe zum Münster unter dem Klange der Glocken 
und dem Gesang der Geistlichen. Unter dem Gefolge befand sich auch 
Günther und selbst der treulose Hagen. Um den Mörder vor allen 
Leuten zu überführen, sprach Kriemhild: „Wer unschuldig ist an dem 
Morde, der trete getrost an den Toten heran; wenn aber der Mörder 
in der Nähe ist, so werden die Wunden wieder bluten." Als nun 
Hagen herantrat, floß das Blut wieder so stark aus den Wunden wie
	        
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