20 —
2. Ter Sturz des weströmischen Reiches und die Er¬
oberung Italiens durch die Germanen. Der Einfluß der Ger¬
manen war in Italien immer mehr gewachsen, sie dienten in
den Legionen nicht bloß als Soldaten, sondern nahmen auch
Feldherrenstellen ein und geboten im kaiserlichen Palast als
Staatsmänner. So stand längere Zeit ein Suebe an der Spitze
des Reiches; er setzte sogar mehrere Kaiser ab und erhob andere
auf den Thron. Endlich machten germanische Söldner diesem
unhaltbaren Zustande ein Ende. Sie forderten feste Wohnsitze,
wie sie die Germanen in anderen römischen Provinzen erlangt
hatten: als das verweigert wurde, riefen sie ihren Heerführer
Odoaker zum König von Italien aus. Dieser setzte nun keinen
Kaiser mehr ein, sondern führte seine Herrschaft vollkommen un¬
abhängig und wurde auch von dem oströmischen Kaiser an-
476. erkannt. Damit hatte also das weströmische Reich 476
seinen Untergang gefunden; das Germanentum war an
Stelle der Römerherrschaft getreten.
§ 13. Die Ostgoten.
1. Theodorich der Grosze (493—529). Als Odoaker nach
einer dreizehnjährigen glücklichen Regierung seine Macht im
Norden Italiens zu erweitern suchte, geriet er mit den Ostgoten
in einen Kampf auf Leben und Tod. Er wurde von dem Ost¬
gotenkönige Theodorich — später der Große genannt — in drei
Schlachten besiegt und darauf in Ravenna, wohin er sich ge-
493. flüchtet hatte, belagert. Hier ergab er sich 493 gegen das Ver¬
sprechen, daß er am Leben bleiben dürfe, wurde aber von
Theodorich selbst ermordet. Dieser übernahm jetzt die Regierung
Italiens. Unter Theodorich ward das Reich so trefflich regiert,
daß Goten und Römer friedlich nebeneinander wohnten.
Sein Hauptziel aber, die Verschmelzung des Römer- und Germanen¬
tums zu einer Nation, vermochte Theodorich wegen des religiösen Gegen¬
satzes der katholischen Römer und der arianischen Ostgoten nicht zu er¬
reichen. Auch die Gründung eines germanischen Staatenbundes unter
seiner Oberleitung schlug fehl. Trotzdem gehört er zu den bedeutendsten
Persönlichkeiten des Zeitalters der Völkerwanderung. Unter seiner fried¬
lichen Regierung erfreute sich das solange schwer heimgesuchte Italien
eines steigenden Wohlstandes. Zahlreiche Bauwerke erstanden aus ihren
Trümmern oder wurden neu errichtet, namentlich in den Residenzen
Ravenna und Verona. In Ravenna erbaute sich der König ein riesiges
Grabdenkmal. An seinem Hose fanden die Sänger der gotischen Helden¬
lieder und die Vertreter der römischen Bildung die gleiche freundliche
Aufnahme. Und so ist er selbst als „Dietrich von Bern" (Verona)
später ein Hauptheld der deutschen Sage geworden.