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monatelang von Eis und Schnee zu leiden hatten, mit wär¬
menden Kleidungsstücken auszustatten. Auch suchte sie den Fa¬
milien zu Hülse zu kommen, deren Väter und Ernährer hinaus¬
gezogen waren, das Vaterland zu verteidigen. Als im Jahre 1888
Posen von einer furchtbaren Überschwemmung heimgesucht war,
verließ sie aus kurze Zeit das Lager ihres schwerkranken Gemahls,
um die Stätten des Unglücks selbst auszusuchen und mit Rat
und Tat zu Helsen.
Für die Wissenschaften und Künste hat die Kronprinzessin
und Kaiserin stets ein warmes Herz gehabt. Ost erschien sie in
den Unterrichtsstunden ihrer Kinder. Allein oder mit ihrem Ge¬
mahl besuchte sie die Mädchenfortbildungsschulen in Berlin, um
von den Arbeiten und Leistungen persönlich Kenntnis zu nehmen.
Ebenso erschien sie gern in den Arbeitssälen der Maler und
Bildhauer.
In ihrer hohen Stellung ist die Kronprinzessin und Kaiserin
von Leid nicht verschont geblieben. Im Jahre 1866 verlor sie
ihren Sohn Sigismund zur selben Zeit, als sein Vater dem
Rufe des Königs gefolgt war und sern im Felde stand. Drei¬
zehn Jahre später raubte ihr der Tod ganz unerwartet den elf¬
jährigen Prinzen Waldemar. Das größte Leid aber brachten
ihr die Jahre 1887/88. Bereitwillig ging sie mit ihrem hohen
Gemahl nach dem Süden, wo sie ihm alles fernzuhalten suchte,
was ihn aufregen und stören konnte. Krank eilte Kaiser Fried¬
rich nach Deutschland und schwerkrank führte er drei Monate die
Regierung; die Kaiserin Viktoria harrte bei ihm aus, stets daraus
bedacht, ihm sein hartes Los zu erleichtern. Nach dem Tode
ihres Gemahls hielt sie sich mit Vorliebe auf ihrer Besitzung
Friedrichshof im Taunus auf, wo sie nach schweren Leiden im
August 1901 verstorben ist.
§ 329. Kaiserin Auguste Viktoria.
Unsere Kaiserin ist am 22. Oktober 1858 aus Dolzig (in
der Niederlausitz), einem Schlosse ihres Vaters, geboren. 1864
siedelte die Familie von Augustenburg nach Primkenau in
Schlesien über. Hier erhielt die Prinzessin zugleich mit ihrer
jüngeren Schwester den ersten Unterricht. Mit trefflichen Gaben
des Geistes, namentlich mit bedeutenden Anlagen für Musik aus¬
gestattet, die durch sorgfältigen Unterricht und häufige Reisen
nach England und Frankreich aufs beste entwickelt wurden, er¬
warb sie sich eine vorzügliche Bildung. Schon als Kind aber
hatte sie ein mitfühlendes Herz für Arme und Kranke, und ihre
wahre Frömmigkeit ist ein Erbteil von ihren Eltern.