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Als Kaiser Wilhelm I. im Juni 1878 durch ruchlose Hand schwer
verwundet war, führte der Kronprinz ein halbes Jahr hindurch die Re¬
gentschaft. Denkwürdig ist das versöhnliche Schreiben, welches er in dieser
Zeit an den Papst Leo XIII. richtete. Auf einer Reise, die er später an
die Höfe in Madrid und in Rom machte, stattete er auch dem Oberhaupte
der katholischen Christenheit einen Besuch ab, der das angebahnte bessere
Verhältnis zwischen der preußischen Regierung und der Kirche wesentlich
befestigte.
5. Erkrankung. Seit Beginn des Jahres 1887 litt der sonst so
kerngesunde und kraftvolle Kronprinz wiederholt an hochgradiger Heiserkeit,
ohne derselben jedoch größere Bedeutung beizumessen. Erst im Herbste, als
eine Verschlimmerung eintrat, ging er auf den Rat der Ärzte nach Italien,
zuletzt nach San Remo bei Genua. Erstickungsanfälle machten hier die
Vornahme des Luftröhrenschnittes und die Einsetzung einer Kanüle not¬
wendig. Mit bewundernswerter Fassung ertrug der Kranke die unsäglichen
Schmerzen; auch auf dem Krankenlager zeigte er sich, wie einst auf dem
Schlachtfelde, als ganzer Mann, als Held.
6. Der Dulder auf dem Throne. Auf die Kunde von dem jähen
Tode seines kaiserlichen Vaters trat Kaiser Friedrich III., wie er sich
jetzt nannte, trotz seiner schweren Krankheit und trotz der rauhen Witterung
sofort mit seiner Gemahlin die Heimreise an und traf am 10. März gegen
Mitternacht im Schlosse zu Charlottenburg ein. In der herrlichen Prokla¬
mation „An mein Volk" legte er die Grundsätze seiner Regierung dar,
die „Deutschland zu einem Horte des Friedens machen" sollte. Aber zur
Verwirklichung seiner edlen Absichten ließ ihm der unerbittliche Todesengel
nicht die Zeit. Zwar führte der sonnige Frühling eine scheinbare Besserung
in seinem Befinden herbei, so daß der heldenmütige Dulder am 1. Juni
nach seinem Lieblingsaufenthalte, dem Schlosse Friedrichskron bei Potsdam
(früher das Neue Palais), übersiedeln konnte. Aber bereits am 15. Juni,
am 99. Tage seiner Regierung, verschied er standhaft und ergeben. („Lerne
leiden, ohne zu klagen!") Seine Leiche ruht in der Friedenskirche zu Pots¬
dam, in der auch sein Oheim Friedrich Wilhelm IV. begraben liegt. v.
1. Jugendzeit. Prinz Friedrich Wilhelm Viktor Albert er¬
blickte das Licht der Welt am 27. Januar 1859. Hinter der militärischen
Ausbildung, welche, wie bei allen Prinzen des Hohenzollernhauses, frühzeitig
begann, trat die wissenschaftliche nicht zurück. Von 1874—1877 besuchte