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herstellen können wie die Maschine. Das früher so geachtete deutsche Hand¬
werk geht seinem Ruin entgegen, und zahllose ehedem wohlhabende Familien
verarmen. (Handwerkerfrage.)
ö. Srauensrage.
Die Umgestaltung der menschlichen Gesellschaft und ihrer Lebens¬
bedingungen ist auch für die Frauenwelt bedeutungsvoll geworden.
a) In den ärmeren Bevölkerungsschichten der Industriestädte
haben sich fast alle jungen Mädchen, durch die bittere Not gezwungen,
der Fabrikarbeit zugewandt. Es ist das bedauerlich, weil der beständige
Aufenthalt in den dumpfen Fabrikräumen der Gesundheit nachteilig ist.
Viel schlimmer aber sind für die jugendlichen Arbeiterinnen die vielen sitt¬
lichen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. und ihre allzufrühe Selbständigkeit
den Eltern gegenüber. Zwar hat man in neuester Zeit in allen größeren
Städten Haushaltungs-, Koch-, Näh-, Flick- und Strickschulen sowie
Mägdeheime eingerichtet. Aber das alles vermag eine gute Familien¬
erziehung nicht zu ersetzen. Noch betrübender ist es, daß selbst zahllose
Mütter durch den unzulänglichen Verdienst ihrer Männer zu Fabrikarbeit
genötigt sind. Auch in diesen Fällen sind die von der christlichen Barm¬
herzigkeit ins Leben gerufenen Krippen- und Kinderbewahranstalten nur
ein Notbehelf. Das Familienleben ist zerrissen; die Mutter, die früher
den Mittelpunkt eines glücklichen Familienlebens bildete, ist ihrem Berufe
entfremdet.
b) In dem unbegüterten Mittelstände ist die Not der Frauen,
soweit sie ledig bleiben, nicht geringer, zumal die Ansprüche an das Leben
höher und die Erwerbsgelegenheiten beschrankter sind. Die weiblichen Hand¬
arbeiten, mit denen sich solche Personen in den meisten Fällen zu ernähren
suchen, werden wegen des massenhaften Angebotes mit einem Spottpreise
bezahlt. Um diesem Elende, welches so manches junge Leben vorzeitig knickt,
abzuhelfen, hat man jetzt die Erwerbsgelegenheiten für Frauen ver¬
mehrt und ihnen Zugang zu einer Reihe von Tätigkeiten verschafft, welche
bislang ausschließlich den Männern vorbehalten waren. So verdienen sich
denn heutzutage unzählige Frauen ihren Lebensunterhalt als Buchhalterinnen,
Bureaubeamtinnen, Telegraphistinnen usw.
Das weibliche Bildungs- und Erziehungswesen ist dement¬
sprechend gründlich verändert und erweitert worden. Neben den höheren
Mädchenschulen, welche in jeder größeren Stadt bestehen, bilden eine,
allerdings zweifelhafte, Errungenschaft der letzten Jahre mehrere Mädchen¬
gymnasien, welche die Vorbildung für die Universität anstreben.