fullscreen: Grundlehren der mathematischen Geographie und elementaren Astronomie

17. Empirische Bestimmung der Erdgestalt. 31 
gesamt normal zum Horizonte stehen. Man hat dann die Sphaera 
recta; beide Pole liegen gerade in den Endpunkten der Mittags¬ 
linie, im Horizonte, und es gibt jetzt keinen unsichtbaren Stern. 
Die geringste Weiterbewegung nach Süden verwandelt die Sphaera 
recta wieder in eine Sphaera obliqua, nur werden jetzt die spitzen 
Winkel der Tageskreise ihre Öffnung nach Norden. Der Nord¬ 
pol des Himmels ist unsichtbar geworden, hingegen steigt der 
Südpol immer höher empor. 
Wir müssen also schliessen, dass man, wenn man vom Orte 
der Sphaera recta aus stetig gegen Norden und Süden fortschreitet, 
endlich an zwei Punkte gelangen muss, deren Scheitelpunkte mit 
je einem der Himmelspole zusammenfallen. An den fraglichen 
Punkten wäre <r> — + 90°, der Himmelsaequator fiele in die Ebene 
des Horizontes, und sämtliche Gestirne müssen zirkumpolar ge¬ 
worden sein. Man wäre bei der Sphaera parallela angelangt. 
Das Vorhandensein der Sphaera recta ist durch den Augen¬ 
schein genugsam bestätigt. So hoch nach Norden oder Süden, 
um auch die Phänomene der Sphaera parallela in ihrer vollen 
Reinheit wahrzunehmen, ist allerdings aus physischen Gründen 
noch nie ein Mensch vorgedrungen *), allein schon im nördlichen 
Schweden nähern sich die Erscheinungen sehr jenem extremen 
Falle, indem dort die Sonne alljährlich einige Zeit zirkumpolar 
wird, und die Aussagen der Polarforscher, welche noch viel weiter 
nördlich, nämlich bis zu einer Poldistanz von nur 3°, vorgedrungen 
sind, beseitigen, wenn dies erforderlich sein sollte, die letzten 
Zweifel. Dass auf der Insel Thüle (Fär Oer?; vielleicht Island 
selbst) die Sonne zur Winterszeit nur ein klein wenig noch sich 
übers Meer erhebe, zur Sommerszeit aber kaum mehr in dasselbe 
hinabtauche, berichtete bereits Py the as von Massilia in vorchrist¬ 
licher Zeit (um 300) auf grund seiner eigenen Reiseerfahrungen. 
Dieselben Wahrnehmungen, welche der von uns voraus¬ 
gesetzte Beobachter auf seiner ursprünglichen Mittagslinie machte, 
macht er auch dann, wenn er sich von letzterer um eine beliebige 
Strecke nach Osten oder Westen entfernt, dort eine neue Mittags¬ 
linie zieht und sich längs dieser nördlich oder südlich bewegt. 
Lässt man endlich noch der blossen Beobachtung die Messung 
nachfolgen, indem man einen bestimmten Punkt am Himmels¬ 
meridian — am besten den Pol —- ins Auge fasst und mit einem 
Winkelmessinstrumente (s. § 5) an möglichst vielen a e q u i d i s - 
*) Der Amerikaner Pear y kam 1906 ein wenig über den 87. Parallel 
hinaus.
	        
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