I ein; sie verlieh der Ehe größere Heiligkeit, sie machte das Weib zur
I Gesetzgeberin der Sitte, des geselligen Umgangs, des heitern, anmmh-
I vollen Lebensgenusses; sie trug die religiöse Weihe, womit die Kirche die
I Himmelskönigin Maria, das weibliche Ideal umgab, auf das ganze
Geschlecht über. Die Poesie trat in ihren Dienst und die minnereiche
Dichtkunst der Ritter war so ausschließlich der Verehrung der Frauen
gewidmet, daß die ganze Kultur zuletzt den Charakter der Weiblichkeit
|: annahm und die Minnepoesie an ihrer eigenen Ueberschwenglichkeit unb
| Gedankenarmuth unterging.
Aehnlich erging es der mittelalterlichen Kirche und ihrer Hierarchie.
1 Gestützt auf die jugendliche Begeisterung der neubekehrten germanischen
| Volksstämme, brachte die Priesterschaft nicht nur einen sehr großen Theil
f. des weltlichen Besitzes an sich, sondern sie zog auch alle Verhältnisse,
i die mit der Religion in irgend einer Beziehung standen, vor ihr geist-
1 liches Gericht und erlangte dadurch eine Macht auf das gestimmte Leben
1 und den ganzen Gedankenkreis der mittelalterlichen Menschheit, daß die
; Kirche die eigentliche Herrscherin und Gebieterin war. Bildung und
I Wissenschaft waren ausschließlich in ihren Händen, und die Künste, die
sich zum Dienste der Religion vereinigten, dienten zu ihrer höchsten Ver-
I herrlichnng. Ihr höchster Triumph waren die Kreuzzüge, zugleich aber
j wurden sie auch der Wendepunkt ihrer Machtfülle.
Wohl vermochte das Papstthum auf seiner Höhe das ruhmreiche
Kaisergeschlecht der Hohenstaufen zu fällen; aber die Wandlung der
: Lehnsverhältnisse, die im Gesolge der kaiserlosen Zwischenzeit über Europa
? hereinbrachen, erschütterte nicht nur den Staat, sondern auch die Kirche
;{in ihren Grundfesten.
Den Verfall des Mittelalters stellt die fünfte Periode dar. In
derselben bildet das Städteleben mit seiner Kraft und Kultur, mit seiner
Regsamkeit und Lebenslust, mit seinem Wohlstand und seiner Freiheits-
liebe den einzigen heitern Lichtblick. An den festen Mauern der Städte
zerschellte die rohe Kraft des entarteten Ritterthums; an ihrer bürger¬
lichen Literatur nährte sich der Geist der kirchlichen Opposition, der
endlich, als die Kirche hartnäckig jede Selbstreinigung von sich wies, die
;; Reformation hervorrief; aus ihrer strebsamen Bürgerschaft gingen die
Männer hervor, welche die Buchdruckerkunst erfanden, Amerika entdeckten
und aus Italien die Werke der alten griechisch-römischen Literatur nach
Deutschland verpflanzten, um sie Mr Grundlage der neuen Lebensan-
i schauungen zu machen, welche in die moderne Zeit herüberleiteten.