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innigen Geistesanschauung ist, voll Reinheit, Adel der Gesinnung und 
voll tüchtiger Charakterfestigkeit. Unter dem heiligen Gral dachte man 
sich die kostbare Schale, deren sich der Herr und Heiland bei dem letzten 
Abendmahl bedient hat und in welche Joseph von Arimathia das Bütt 
des Herrn auffing. Das Heiligthum wurde aufbewahrt in einem wunder¬ 
baren Tempel, dessen Säulen von Gold mit Juwelen geschmückt, dessen 
Deckengemälde blauer Saphir, dessen Fußboden durchsichtiger Krystall 
waren. Es schloß dieses Gefäß, welches die Wellerlösung sichtlich dar¬ 
stellte die Fülle aller Güter in sich. „Wer es anschauen durfte, dessen 
%axü ward nicht bleich und dessen Haar ward nicht grau zweihundert 
Jahre lang Pfleger und Hüter dieses Schatzes zu sein, war die höchste 
Würde der Menschheit, die Vollendung, das Ideal der Ritterlichkeit" 
Die Irr- und Wanderfahrten des Ritters Parzival, bis er als 
vollendete Blüthe menschlicher und ritterlicher Tugend König im Heilig¬ 
thum des Gral wird, eine Art von Lehrjahren, ist der Gegenstand des 
Gedichtes. 
„Der Name derer, die ernannt 
Zum Grale sind, wird so bekannt: 
Am Stein, an seines Randes Rund, 
Erscheint eine Schrift, die deutlich kund 
Geschlecht und Namen dessen thut, 
Den zu erwählen der Gral geruht. 
Niemand vermag der Schrift Buchstaben, 
Eh' sie gelesen, vom Stein zu schaben; 
Sie vergeht jedoch zur selben Frist, 
Sobald der Name gelesen ist. 
Es kommen alle dahin als Kind, 
Die jetzt Erwachs'ne beim Grale sind; 
Und wohl der Mutter, die geboren 
Das Kind, das sich der Gral erkoren! 
Denn dessen freu'n sich alle gleich 
Ihre Kinder zu senden arm und reich. 
Die aus nahen und fernen Landen 
In Montsalvas sich zusammenfanden 
Und zn dem Graldienst sind geweiht, 
Von Todsünden bleiben sie befreit. 
Vom Himmel ist ihr Lohn gewährt 
Und wenn ihr letzter Tag erschienen 
Auf Erden hier, wird droben ihnen 
Der Seele letzter Wunsch bescheert." 
otoet Bruchstücke von großer Schönheit, Titurel und Wilhelm von 
Oranse sind gleichfalls Werke des Wolfram von Eschenbach. 
Während die Poesien dieses Dichters einen durchaus ernsten, Mi¬ 
mosen Grundton haben, schildert das Weltkind, Gottfried von 
Strabburq, mit den glänzendsten Farben irdischen Genusses, m ge¬ 
wandter und zierlicher Form, die Liebesabenteuer von Tristan und 
Isolde Leidenschaftliches Feuer und Anmuth der Darstellung machen
	        
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