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Tristan's Sterbelied. (Altfranzösisch.) 
Wenn einst mir Lied und Reim gelang, 
So krönte Liebe meinen Sang; 
Jetzt tönet meiner Harfe Klang 
Nur meine Klagen trüb' und bang'. 
O Liebe, holde Phantasie, 
Du, der ich treue Folge lieh. 
Giebst Alleu Lust und Leben hie. 
Ach, und mir Armen raubst Du sie! 
So ist durch Liebe mir gethan, 
Wie jenem, der in frommem Wahn 
Die Natter ließ dem Busen nah'n 
Und mußte Tod von ihr empfah'n. 
Nimm denn mein letztes Flehen hin, 
O Mult, süße Mörderin, 
Du, einst mir hold mit treuem Sinn, 
Denk' mein, wenn ich gestorben bin. 
Und liegt auf mir die Erde schwer. 
Setzt auf mein Grab die Worte her: 
„Noch liebte Keins so hoch und hehr, 
Wie Tristan; doch er ist nicht mehr." 
Von Frankreich aus verbreitete sich die romantische Poesie unter 
der Regierung der Hohenstaufen nach Deutschland, wo zuerst in Schwaben 
die sogenannten Minnesänger auftraten: Heinrich von Veldeck, Walther 
von der Vogelweide, Jakob von der Warte, Hartmann von Aue, 
der von Kürenberg, Heinrich von Rispach, von Johannsdorf, Ulrich von 
Lichtenstein, Konrad von Würzburg, Heinrich von Ofterdingen u. A. 
Auch gekrönte Häupter übten diese schöne Kunst; Friedrich I. der Roth¬ 
bart, sein Sohn Heinrich VI., Friedrich II., der unglückliche Konradin, 
König WLcslaw (Wenzel) von Böhmen, Vater Ottokar's, Herzog Hein¬ 
rich IV. von Breslau und viele Andere waren Minnesänger. 
Außer den hohenstaufischen Kaisern beschützten und beförderten die 
Liebe und Pflege der Poesie Landgraf Hermann von Thüringen, dessen 
Neigung zur Dichtkunst selbst Dichtung geworden ist in der Mythe von 
dem Sängerkriege auf der Wartburg, und die östreichischen Herzöge aus 
dem Babenbergischen Hause, deren Höfe Sammelorte der Minnesänger 
waren. 
Der erste Preis in diesem Sängerkreise wird dem wackern Walther 
von der Vogelweide zugetheilt, in dessen Liedern sich die reife Er¬ 
fahrung eines vielbewegten Lebens und die scharfe Beobachtung eines 
verständigen vaterländischen Mannes abspiegelt. Er feiert den Dienst 
der Frauen, bei denen Sitte und Treue wohnt, und beurkundet neben 
poetischer Fülle und Vielseitigkeit einen kräftigen, auf das Gute und 
Wahre gerichteten Sinn.
	        
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