9 
brandschatzenden Ablaßkrämer Tetzel und glaubten damit ihrer Sünden¬ 
schuld los zu sein. Wie gewaltig das den Mann gekränkt haben muß, 
der aus Schrift und Erfahrung ganz andere Begriffe von der Verge¬ 
bung der Sünden hatte, als solche Fugger'sche Factores, die nur ihrem 
Herrn sein Pränumerationsgeld wieder zu verschaffen suchten! Er schrieb 
und redete wider diesen Unfug; was sollt' er schweigen?" 
Ja wohl, was sollt' er schweigen? Auf der Kanzel und auch sonst 
mit Wort und Schrift eiferte Luther gegen diesen Mißbrauch der kirch¬ 
lichen Befugniß, der ihn, vermöge seiner bisherigen Erfahrungen, an 
der tiefsten und verwundbarsten Stelle seiner religiösen Ueberzeugung 
angreifen mußte. 
Als der Allerheiligentag herankam, für welchen Tetzel seinen Einzug 
in Wittenberg angekündigt hatte, bedachte Luther sich nicht lange, son¬ 
dern schlug, festen und glaubensfreudigen Muthes, den Abend zuvor 
fünfundneunzig Streitsätze gegen den Ablaß in lateinischer Sprache an 
die Thüre der Schloßkirche an. 
Luther's Thesen bezogen sich gerade auf diejenigen Hauptpunkte der 
Kirchenlehre, über welche er nur eben mit so heißen Kämpfen in sich 
einig geworden war: auf die Nichtigkeit der sogenannten guten Werke 
in Bezug auf Vergebung der Sünden. Er bestritt durch Beweisführung 
aus der heiligen Schrift das Recht und die Macht des Pabstes in einer 
Sache, die allein von dem Glauben des Menschen und der Barmherzig¬ 
keit Gottes abhängt. „Da unser Herr und Meister Jesus Christus 
spricht: Thut Buße, so will er, daß das ganze Leben seiner Gläubigen 
auf Erden eine stete und unaufhörliche Buße sein soll." „Der Pabst 
kann keine Schuld vergeben, denn allein sofern, daß er erkläre und be¬ 
stätige, was von Gott vergeben sei'' „Ein jeder wahrhaftiger Christ ist 
theilhaftig aller Güter Christi und der Kirchen, aus Gottes Geschenk 
auch ohne Ablaßbriefe." „Der rechte, wahre Schatz der Kirche ist das 
heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes" u. s. w. 
Die Wirkung dieses Schrittes war über alles Erwarten groß. In 
unglaublich kurzer Zeit waren die Ablaßthesen durch ganz Deutschland 
verbreitet, denn Luther hatte ausgesprochen, was in Vieler Gedanken 
aufgegangen war, ohne daß sie den Muth hatten, es laut werden zu 
lassen. Sein Vorangehen wurde vielfach mit Jubel begrüßt: „Der 
thut's!" hieß es, „er kommt, auf den wir gewartet haben!" Andere, 
namentlich auch Luther's Klosterobern, waren ängstlich. Er aber sprach: 
„Jst's nicht von Gott angefangen, so wird es bald fallen. .Jst's aber 
in seinem Namen, so lasset denselbigen machen!" 
Die leidenschaftlichen Angriffe seiner Gegner, Tetzel's, Hochstrat's 
in Köln, Wimpina's in Frankfurt an der Oder, ließen auch nicht auf 
sich warten, und Leo X. selbst erlaubte seinem Palastmeister Mazolini, 
den unberufenen Neuerer zurecht zu weisen, indem er ihm Lehre und 
Beispiel des heiligen Thomas von Aquino vorführte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.