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brandschatzenden Ablaßkrämer Tetzel und glaubten damit ihrer Sünden¬
schuld los zu sein. Wie gewaltig das den Mann gekränkt haben muß,
der aus Schrift und Erfahrung ganz andere Begriffe von der Verge¬
bung der Sünden hatte, als solche Fugger'sche Factores, die nur ihrem
Herrn sein Pränumerationsgeld wieder zu verschaffen suchten! Er schrieb
und redete wider diesen Unfug; was sollt' er schweigen?"
Ja wohl, was sollt' er schweigen? Auf der Kanzel und auch sonst
mit Wort und Schrift eiferte Luther gegen diesen Mißbrauch der kirch¬
lichen Befugniß, der ihn, vermöge seiner bisherigen Erfahrungen, an
der tiefsten und verwundbarsten Stelle seiner religiösen Ueberzeugung
angreifen mußte.
Als der Allerheiligentag herankam, für welchen Tetzel seinen Einzug
in Wittenberg angekündigt hatte, bedachte Luther sich nicht lange, son¬
dern schlug, festen und glaubensfreudigen Muthes, den Abend zuvor
fünfundneunzig Streitsätze gegen den Ablaß in lateinischer Sprache an
die Thüre der Schloßkirche an.
Luther's Thesen bezogen sich gerade auf diejenigen Hauptpunkte der
Kirchenlehre, über welche er nur eben mit so heißen Kämpfen in sich
einig geworden war: auf die Nichtigkeit der sogenannten guten Werke
in Bezug auf Vergebung der Sünden. Er bestritt durch Beweisführung
aus der heiligen Schrift das Recht und die Macht des Pabstes in einer
Sache, die allein von dem Glauben des Menschen und der Barmherzig¬
keit Gottes abhängt. „Da unser Herr und Meister Jesus Christus
spricht: Thut Buße, so will er, daß das ganze Leben seiner Gläubigen
auf Erden eine stete und unaufhörliche Buße sein soll." „Der Pabst
kann keine Schuld vergeben, denn allein sofern, daß er erkläre und be¬
stätige, was von Gott vergeben sei'' „Ein jeder wahrhaftiger Christ ist
theilhaftig aller Güter Christi und der Kirchen, aus Gottes Geschenk
auch ohne Ablaßbriefe." „Der rechte, wahre Schatz der Kirche ist das
heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes" u. s. w.
Die Wirkung dieses Schrittes war über alles Erwarten groß. In
unglaublich kurzer Zeit waren die Ablaßthesen durch ganz Deutschland
verbreitet, denn Luther hatte ausgesprochen, was in Vieler Gedanken
aufgegangen war, ohne daß sie den Muth hatten, es laut werden zu
lassen. Sein Vorangehen wurde vielfach mit Jubel begrüßt: „Der
thut's!" hieß es, „er kommt, auf den wir gewartet haben!" Andere,
namentlich auch Luther's Klosterobern, waren ängstlich. Er aber sprach:
„Jst's nicht von Gott angefangen, so wird es bald fallen. .Jst's aber
in seinem Namen, so lasset denselbigen machen!"
Die leidenschaftlichen Angriffe seiner Gegner, Tetzel's, Hochstrat's
in Köln, Wimpina's in Frankfurt an der Oder, ließen auch nicht auf
sich warten, und Leo X. selbst erlaubte seinem Palastmeister Mazolini,
den unberufenen Neuerer zurecht zu weisen, indem er ihm Lehre und
Beispiel des heiligen Thomas von Aquino vorführte.