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9. Ludwig XV., König von Frankreich (1715—1774). 
Das 18. Jahrhundert, welches in der gesammten Geschichte Euro¬ 
pas ein so verhängnißvolles, folgenreiches geworden ist, aus dem unsere 
neueste Zeit unter furchtbaren Kämpfen sich allmählich entwickelte, nahm in 
Frankreich einen traurigen Anfang. Ludwig's XIV. Testament wurde um¬ 
gestoßen, noch ehe seine Leiche der Erde übergeben war, und es begann 
eine Regentschaft unter dem Herzog von Orleans, die den Staat 
in finanzieller und moralischer Hinsicht in das tiefste Elend brachte, und 
jetzt schon Schritt für Schritt die blutige Revolution vorbereitete, welche 
zu Ende des Jahrhunderts nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa 
in den innersten Grundvesten erschüttern und umgestalten sollte. 
Philipp von Orleans war ein genialer Wüstling, der hohe 
Talente mit ungebändigter Genußsucht verband. Er und sein Liebling, 
der Abt und nachmalige Kardinal Dubois, bewegten sich in der Gesell¬ 
schaft der verworfensten Menschen aus allen Ständen beiderlei Geschlechts; 
der Herzog selbst nannte sie Roues, d. H. Leute, welche verdienen ge¬ 
rädert zu werden. Seine Regentschaft kostete unendliche Summen, das 
Land aber war erschöpft und das Volk seufzte unter dem Drucke un¬ 
erschwinglicher Abgaben. In diese Zeit fällt das kolossale Schwindel¬ 
und Trugsystem des Schottländers Johann Law, welcher im Verein 
mit der westindischen Gesellschaft unter königlicher Bewilligung eine Bank 
errichtete, und für seine Aktien reichen Gewinn in den französischen Be¬ 
sitzungen von Nordamerika versprach. Bald stieg das Papiergeld, wel¬ 
ches aus den Banknoten und Aktienscheinen entstand, durch häufige Nach¬ 
richten von Goldgruben und anderweitigem Gewinne der westindischen 
Gesellschaft außerordentlich im Werthe*). Die Aktien wurden so sehr 
gesucht, daß derjenige, welcher eine Aktie für 500 Livres gekauft hatte, 
sie später sür 20,000 verkaufen konnte. Natürlich mußte dieses Lügen¬ 
gebäude nach kurzer Zeit in sich selbst zusammenstürzen. Schlaue Be¬ 
trüger, die das Geschäft berechneten, verkauften ihre Aktien und gingen 
*) Es ist unglaublich, mit welcher Blindheit und Leichtgläubigkeit das sonst so 
kluge französische Volk diesem Unternehmen sich hingab. „Die Bankzettel stiegen über 
ihren Nennwerth, die Aktien auf das Zehnfache des ersten Preises. Der ungeheure 
Gewinn erregte so allgemeinen Schwindel, daß selbst die besonnensten Leute ihr Besitz¬ 
thum verkauften und ihr Gold und Silber fast allen Werth verlor. Man trachtete 
nur nach den wundervollen Papieren. In der Straße Qninqnempoix, dem Sitze der 
den Papierverkehr leitenden Behörden, sah man von den vornehmsten Adeligen und 
Geistlichen bis auf den niedrigsten Pöbel Alles versammelt und auf Gelderwerb er¬ 
picht. Herzöge und Bischöfe, Magistratspersonen, Betrüger und Bettler, vornehme 
Damen und Dienstmädchen, Alles traf hier zu gleichem Zwecke zusammen. Die Miethe 
der Häuser stieg in's Unglaubliche, und Manche wurden nur dadurch reich, daß sie 
ihren Rücken hergaben, die eiligst abgeschlossenen Verträge darauf zu unterschreiben."
	        
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