286 
Freilich aber zeigten alle seine Einrichtungen, daß man über den des¬ 
potischen Gehorsam nicht hinaus konnte, und der völlige Mangel an 
Bildungslust und Fähigkeit der Nation mochte ihm nur schlechte Er- 
muthigung geben. 
Auf seltsame Weise wußte der Kaiser die in den civilisirten Staaten 
übliche Geselligkeit in Aufnahme zu bringen. — Nach polizeilicher Ver¬ 
ordnung wurde getanzt, gespielt, musicirt, Schauspiele aufgeführt; Peter 
ließ selbst die Singvögel in den südlichen Provinzen einkaufen, um die 
öffentlichen Gärten damit zu bevölkern. 
Die Schattenseiten dieses reichen Gemäldes, welche der Zeit, dem 
Volkscharakter und freilich wohl vor allem Peter's heftigem und leiden¬ 
schaftlichem Naturell angehören, dürfen auch hier nicht fehlen. Peter 
war unmäßig im Trinken und allen sinnlichen Genüssen; in heftiger 
Zornwuth beging er oft strafbare Unthaten und es war ihm in solchen 
Momenten erwünscht, die eigenen derben Hände zu rohen Züchtigungen 
zu gebrauchen. In solchen Augenblicken hatte nur seine Gemahlin Ka¬ 
tharina Gewalt über ihn und wußte mit Gelassenheit und Sanftmut!) 
die wilde Aufregung zu beruhigen. Die althergebrachten Lustbarkeiten 
waren roh und barbarisch. Sie bestanden in öffentlichen Trinkkämpfen 
und Possenspielen, bei welchen Schalksnarren, deren man wohl an die 
hundert zählte, als Pübste, Patriarchen, Samojedenkönige u. dergl. in 
Processionen herumzogen und allerlei unanständige Scherze zur Belusti¬ 
gung des Volkes und des Hofes machten. Außer den Schalksnarren 
hielt Peter eine Menge Zwerge, welche in kalten Ländern nicht so selten 
sind, wie bei uns; im Jahre 1710 ließ er, so wird erzählt, eine Zwerg¬ 
hochzeit feiern, bei welcher zweiundsiebzig Zwerge den Hofstaat des 
Brautpaares vorstellten, das aus zwei schön gebildeten Zwergen bestand. 
Diese Hochzeit fand unmittelbar nach der Vermählung des Herzogs von 
Kurland mit der Großfürstin Anna, der Tochter des blödsinnigen Iwan, 
Statt. Die Zwerge ahmten genau alle Ceremonien der großfürstlichen 
Hochzeit nach, der ganze Hof belustigte sich an den lächerlichen Gestalten, 
die nach gellender Musik mit einander tanzten und allerlei Kurzweil 
vornahmen. 
Peter's erster Minister nach Le Fort's und seiner Lehrmeister ^ode 
war der Fürst Menzikoff, den er vom Pastetenbäckerjungen zu seinem 
Pagen machte, ausbilden ließ, dann von einer Würde zur anderen und 
endlich zum Minister erhob. 
Im Jahre 1716 machte Peter in Begleitung seiner Gemahlin eine 
neue Reise. Diesmal reiste er nicht als einfacher Handwerker, sondern 
als Kaiser, dennoch aber mit derselben Aufmerksamkeit und Umsicht für 
Alles, was er seinem Reiche nützlich glaubte. Er besuchte Deutschland, 
Holland und Frankreich, wo eben damals Ludwig XIV. gestorben tour. 
Den siebenjährigen König Ludwig XV. nahm er auf seine Arme, küßte 
ihn und sagte: „Ich wünsche, daß Ew. Majestät groß aufwachsen und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.