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Freilich aber zeigten alle seine Einrichtungen, daß man über den des¬
potischen Gehorsam nicht hinaus konnte, und der völlige Mangel an
Bildungslust und Fähigkeit der Nation mochte ihm nur schlechte Er-
muthigung geben.
Auf seltsame Weise wußte der Kaiser die in den civilisirten Staaten
übliche Geselligkeit in Aufnahme zu bringen. — Nach polizeilicher Ver¬
ordnung wurde getanzt, gespielt, musicirt, Schauspiele aufgeführt; Peter
ließ selbst die Singvögel in den südlichen Provinzen einkaufen, um die
öffentlichen Gärten damit zu bevölkern.
Die Schattenseiten dieses reichen Gemäldes, welche der Zeit, dem
Volkscharakter und freilich wohl vor allem Peter's heftigem und leiden¬
schaftlichem Naturell angehören, dürfen auch hier nicht fehlen. Peter
war unmäßig im Trinken und allen sinnlichen Genüssen; in heftiger
Zornwuth beging er oft strafbare Unthaten und es war ihm in solchen
Momenten erwünscht, die eigenen derben Hände zu rohen Züchtigungen
zu gebrauchen. In solchen Augenblicken hatte nur seine Gemahlin Ka¬
tharina Gewalt über ihn und wußte mit Gelassenheit und Sanftmut!)
die wilde Aufregung zu beruhigen. Die althergebrachten Lustbarkeiten
waren roh und barbarisch. Sie bestanden in öffentlichen Trinkkämpfen
und Possenspielen, bei welchen Schalksnarren, deren man wohl an die
hundert zählte, als Pübste, Patriarchen, Samojedenkönige u. dergl. in
Processionen herumzogen und allerlei unanständige Scherze zur Belusti¬
gung des Volkes und des Hofes machten. Außer den Schalksnarren
hielt Peter eine Menge Zwerge, welche in kalten Ländern nicht so selten
sind, wie bei uns; im Jahre 1710 ließ er, so wird erzählt, eine Zwerg¬
hochzeit feiern, bei welcher zweiundsiebzig Zwerge den Hofstaat des
Brautpaares vorstellten, das aus zwei schön gebildeten Zwergen bestand.
Diese Hochzeit fand unmittelbar nach der Vermählung des Herzogs von
Kurland mit der Großfürstin Anna, der Tochter des blödsinnigen Iwan,
Statt. Die Zwerge ahmten genau alle Ceremonien der großfürstlichen
Hochzeit nach, der ganze Hof belustigte sich an den lächerlichen Gestalten,
die nach gellender Musik mit einander tanzten und allerlei Kurzweil
vornahmen.
Peter's erster Minister nach Le Fort's und seiner Lehrmeister ^ode
war der Fürst Menzikoff, den er vom Pastetenbäckerjungen zu seinem
Pagen machte, ausbilden ließ, dann von einer Würde zur anderen und
endlich zum Minister erhob.
Im Jahre 1716 machte Peter in Begleitung seiner Gemahlin eine
neue Reise. Diesmal reiste er nicht als einfacher Handwerker, sondern
als Kaiser, dennoch aber mit derselben Aufmerksamkeit und Umsicht für
Alles, was er seinem Reiche nützlich glaubte. Er besuchte Deutschland,
Holland und Frankreich, wo eben damals Ludwig XIV. gestorben tour.
Den siebenjährigen König Ludwig XV. nahm er auf seine Arme, küßte
ihn und sagte: „Ich wünsche, daß Ew. Majestät groß aufwachsen und