Object: Erstes Lesebuch für die Mittelstufe (Teil 3, [Schülerband])

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B. Pflichten gegen Gott und den Nächsten. 
53. Der arme Mann und sein Kind. 
Ein armer Mann, gedrückt von mancher Not, nahm in die Hand 
sein letztes Brot und schnitt davon ein Stücklein ab, das er dem kleinen 
Kinde gab, das bei ihm stand, und „Gott, ach Gott!“ seufzt' er dabei. 
Beweglich bot das kleine Kind das Stücklein Brot dem Vater wieder: 
„Nehmt es doch! ich bitt' Euch, Vater. Ich will noch wohl warten; 
Vater, weint nur nicht!“ 
Der Vater wendet sein Gesicht und sagt: „Ich schneide noch ein 
Stück; behalt es, Kind!“ Mit nassem Blick sieht er auf seinen Sohn 
herab, auf seinen Trost, und schneidet ab. Doch wie erschrickt er! 
Plötzlich fällt ein Haufen glänzend Silbergeld aus seinem Brot. „Ach! 
was ist das?“ sagt er erschrocken. „Söhnchen, laß die Taler liegen; ich 
will gehn; der Bäcker soll sie liegen sehn. Vermutlich hat der Mann 
das Geld, das aus dem lieben Brote fällt, hinein gebacken; der muß es 
auch wieder haben. Bleib indes dabei; ich will geschwinde gehn.“ 
Er geht. Des Kindes Augen sehn ganz starr die blanken Taler 
an; allein es rühret nicht daran. Der Bäcker kommt, sieht sie und spricht: 
„Freund, das sind meine Taler nicht; ja, glaubt es mir! Doch wißt 
Ihr was? Ein reicher Mann macht Euch den Spaß; denn hört, das 
Brot, das Ihr geholt, war nicht von mir; Ihr aber sollt nicht fragen 
und, von wem es ist, auch nicht erfahren. Dieses wißt, daß gestern abend 
einer kam, der mir das Brot gab, das ich nahm, und sagte: „„Wenn ein 
armer Mann, der krank ist, nichts verdienen kann, ein Brot holt, Freund, 
so gebt ihm dies.““ So sagt' er, ja, das ist gewiß. Drauf kamt Ihr, 
und ich gab es Euch. Seht, wie Gott sorgt! Nun seid Ihr reich; das 
Geld hat einen rechten Glanz.“ 
Der arme Mann verstummte ganz und auch sein Kind. Er nahm 
das Brot und seufzt' und sagte nur: „Ach Gott!“ und schnitt sich noch 
ein Stückchen ab und sprach: „Den Mann, der mir es gab, den segne 
Gott! Ach lebte doch,“ sprach er, „nun deine Mutter noch, du liebes 
Kind!“ Das Söhnchen spricht: „Weint, Herzensvater, weint doch nicht!“ 
Qudw. Gleim 
Wenn die Vot am größten, ist SGottes Zilfe am nächsten. 
54. Die sonderbare Mauer. 
Es war Krieg; der Feind war nahe. Während der Nacht war der 
Himmel bald da, bald dort von Feuersbrünsten rot wie Blut. Dazu kam 
noch, daß es Winter war. und das Wetter war sehr kalt und stürmisch. In 
einer Nacht waren die Leute eines einsamen Bauernhofes in großen Ängsten. 
Sie waren vor dem Feinde keinen Augenblick sicher. Wenn sie jetzt ausge—
	        
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