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als Kind von acht Jahren auf dem Throne gefolgt war; allein König 
Heinrich II. von Frankreich gewann sie mit Hülfe der katholischen Partei 
in Schottland für seinen Sohn und Thronerben Franz II. 
Schon im Jahre 1553 starb der junge König Eduard, welcher 
große Hoffnungen erregt hatte; mit seinem Tode trat eine große und 
gewaltige Veränderung der Dinge ein. Man hatte den Herzog von 
Northumberland in Verdacht, Eduard vergiftet zu haben, weil er seinen 
Sohn Gilfort Dudley, der mit Johanna Gray, einer Enkelin Ma¬ 
riens, der Schwester Heinrich's VIII., vermählt war, auf den Thron 
erheben wollte. Wohl mochte er einige Hoffnung auf Erfolg hegen, da 
Maria, die Tochter Katharinens, der ersten Gemahlin Heinrich's VIII, 
durch Parlamentsbeschluß von der Thronfolge ausgeschlossen war und 
die Persönlichkeit der jungen Johanna durch liebenswürdiges Naturell 
und seltene Bildung viel mehr geeignet schien, die Sympathien des 
englischen Volkes zu gewinnen. 
Die kurze Lebensgeschichte der unglücklichen Johanna Gray bietet 
eines der reinsten und rührendsten Bilder weiblicher Würde und Stand¬ 
haftigkeit. Sie wollte anfänglich in ihre Erhebung nicht einwilligen. 
,,Sind nicht des Königs Schwestern, Maria und Elisabeth, nach den 
Gesetzen des Reiches*) und dem Rechte der Natur Erbinnen der Krone?" 
sprach sie. — „Welche Krone bietet man mir an? Eine Krone, welche 
zwei Königinnen mit dem Henkertode vertauschen mußten." Mit Thränen 
und gefalteten Händen bat sie ihren ehrgeizigen Schwiegervater: „Wenn 
Ihr mich liebt, so laßt mich, wo ich bin, und zieht mich nicht zu einer 
Höhe, die mir Schwindel macht!" Allein Northumberland und ihr 
eigener Vater ließen nicht ab, sie mit Bitten und Vorstellungen zu be¬ 
stürmen. 
Ihr Königthum währte kaum neun Tage, da die Armee sich für 
Heinrich's VIII. Tochter, Maria, erklärte, und der unerträgliche Stolz 
des Herzogs von Northumberland von vorn herein seinen Einfluß ge¬ 
fährlich erscheinen ließ. 
Prinzessin Maria, die „Katholische" genannt, ließ sich in London 
zur Königin ausrufen. Als Abgeordnete zu Johanna kamen und ihr 
ankündigten, daß sie die Krone niederlegen müsse, antwortete sie nach 
ihrer sanften Weise: „Ich habe die Krone nie gesucht und lege sie viel 
lieber und leichter nieder, als ich sie, genöthigt durch die Bitten meiner 
Freunde, angenommen habe." Sie glaubte in ihre stille Einsamkeit zu¬ 
rückkehren zu dürfen; allein so leichten Kaufes wollte Maria ihre Neben¬ 
buhlerin nicht davon kommen lassen. Johanna ward mit ihrem Gemahl 
verhaftet, in den Tower gebracht und Beide wurden alsbald des Hoch¬ 
verrats schuldig zum Tode verurtheilt. Maria zauderte, das Urtheil 
*) Die Parlamentsakte wegen Ausschließung der beiden Prinzessinnen war durch 
das Testament Heinrich's VIII. aufgehoben worden.
	        
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