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durchgemacht, insbesondere Athen, welches als das Vorbild der
jonischen Staaten erscheint. Im Ganzen dürfen wir es aber
ein glückliches Geschick nennen, das durch Stammverschiedenheit
die einseitige Richtung aufhob, die ein Volk, welches, wie das
griechische, seine eigene Bahn ging und nur durch sich lernte,
leicht hätte nehmen können.
K. 8. Sagen über fremde Ansiedelungen
in Griechenland.
Jedoch weisen auch mehrfache Sagen darauf hin, daß Ko-
lontften aus fremden Ländern, die schon einen höheren Grad
von Bildung besaßen, namentlich aus Ägypten und Kleinasien,
schon in den ältesten Zeiten bei den Griechen sich niederließen
und auf Lebensart, Beschäftigung, Religion und Sitten der Ein-
geborenen vielfach einwirkten. So soll um 1550 vor Chr.
Cekrops, den eine andere Sage als Ureinwohner Attikas
nennt, mit einer Kolonie aus Sais in Ägypten nach Attika ge-
kommen, und hier die Burg Cekropia (Akropölis) von ihm ge¬
gründet sein. 0 Aus dieser ging allmälig, da sie ringsumher
mit Wohnungen und Tempeln umbauet wurde, die berühmte
Stadt Athen hervor, die nach ihrer gewählten Schutzgöttin Athenä
also benannt wurde. Durch Lehre und Beispiel rief er die ver-
einzelten rohen Bewohner der Gegend zur Geselligkeit und
menschlichen Sitte, gründete in ihrer Mitte den Dienst des Zeus
und der Athenä, führte feste Ehen, Gerichtswesen, Begraben der
Todten und, worauf vorzüglich die Fabeln hindeuten, den ÖU
und Getreidebau ein. So feiert ihn die Sage als den Stifter
des Staates, aus welchem später ein wohlthätiges Licht über
alle Länder stralte.
Etwa fünfzig Jahre später langte Kadmus, der Sohn
des Phönizischen Königes Agcnor, mit einer Kolonie aus Phö-
nizien in Böotien an und gründete hier die thebanische Burg
Kadmea; sein Nachfolger Amphion, berühmt durch sein ergrei-
ftndes Saitenspiel, die Stadt Theben selbst. Nach der Angabe
des Herodot soll auch durch Kadmus die phönizische Buchstaben-
') Herod. VIII. 44. — Strab. IX. p. 397.
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