Full text: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

Friedrich Hölderlin. 
15 Um der Haine Gesang, um Gestalten und Farben des Lebens 
Bat ich, vom lieblichen Glanz heimischer Fluren verwöhnt. 
Aber ich bat umsonst; du erschienst mir feurig und herrlich, 
Aber ich hatte dich einst göttlicher, schöner gesehn. 
Auch den Eispol hab' ich besucht; wie ein starrendes Chaos 
20 Türmte das Meer sich da schrecklich zum Himmel empor. 
Tot in der Hülle von Schnee schlief hier das gefesselte Leben, 
Und der eiserne Schlaf harrte des Tages umsonst. 
Ach! nicht schlang um die Erde den wärmenden Arm der Olymp hier, 
Wie Pygmalions Arm um die Geliebte sich schlang. 
25 Hier bewegt' er ihr nicht mit dem Sonnenblicke den Busen, 
Und in Regen und Tau sprach er nicht freundlich zu ihr. 
„Mutter Erde!“ rief ich, „du bist zur Witwe geworden; 
Dürftig und kinderlos lebst du in langsamer Zeit. 
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in sorgender Liebe, 
z0 Alternd im Kinde sich nicht wiederzusehn, ist der Tod. 
Aber vielleicht erwarmst du dereinst am Strahle des Himmels, 
Aus dem dürstigen Schlaf schmeichelt sein Odem dich auf; 
Und wie ein Samenkorn durchbrichst du die eherne Hülse, 
Und die knospende Welt windet sich schüchtern heraus. 
35 Deine gesparte Kraft flammt auf in üppigem Frühling; 
Rosen glühen, und Wein sprudelt im kärglichen Nord.“ 
Aber jetzt kehr' ich zurück an den Rhein, in die glückliche Heimat, 
Und es wehen, wie einst, zärtliche Lüfte mich an. 
Und das strebende Herz besänftigen mir die vertrauten 
10 Friedlichen Bäume, die einst mich in den Armen gewiegt, 
Und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen, schönen 
Lebens der Welt, es erfrischt, wandelt zum Jüngling mich um. 
Alt bin ich geworden indes; mich bleichte der Eispol, 
Und im Feuer des Süds fielen die Locken mir aus. 
w Doch wie Aurora den Tithon, umfängst du in lächelnder Blüte 
Warm und fröhlich, wie einst, Vaterlandserde, den Sohn. 
Seliges Land! Kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock; 
Nieder ins schwebende Gras regnet im Herbste das Obst. 
Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge; 
50 Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt. 
Und wie die Kinder hinauf zur Schuller des herrlichen Ahnherrn, 
Steigen am dunkeln Gebirg' Festen und Hütten hinauf. 
Friedsam geht aus dem Walde der Hirsch ans freundliche Tagslicht; 
Hoch in heiterer Luft siehet der Falke sich um. 
55 Aber unten im Tal, wo die Blume sich nährt von der Quelle, 
Streckt das Dörfchen vergnügt über die Wiese sich aus. 
Still ist's hier; kaum rauscht von fern die geschäftige Mühle, 
Und vom Berge herab knarrt das gefesselte Rad. 
Lieblich tönt die gehämmerte Sens' und die Stimme des Landmanns, 
s0 Der am Pfluge dem Stier, lenkend, die Schritte gebeut; 
Lieblich der Mutter Gesang, die im Grase sitzt mit dem Söhnlein,
	        
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