64
Das Altertum. Die orientalischen Völker.
auf der Ostküste wird ausdrücklich als phönikische Stadt genannt; der Fluß
Jardan bei Kydonia trug denselben Namen wie der Hauptfluß Kanaans,
und die mythische Geschichte Kretas weist deutlich auf ehemalige phönikische
Herrschaft. Auf den Kykladen und andern Inseln treten neben den Phöni-
kern die Kar er auf, die ihnen als Söldner, Ruderer und Arbeiter gedient
zu haben scheinen; sie verschwinden mit den Phönikern vor dem Andränge
der Griechen. Im Lakonischen Meerbusen wurden die besten Purpurmuscheln
gefunden; daher ließen sich die Seefahrer auf der felsigen Insel Kythera
nieder, und auch dort stieg mit ihnen die „schaumgeborene" Göttin aus dem
Meere ans Land.^
Im Jonischen und Adriatischen Meere kennen wir keine phönikischen Nieder-
lassungen, doch tiefuhren sie auch diese Meere und holten bei den Venetern
den vom Baltischen Meere zu Lande herab geführten Bernstein. Sicilien ent-
deckten sie wie Malta (Melite) und Gozzo (Gaulos) von der nordafrikanischen
Küste aus und legten hier wie in Sardinien und Korsika eine Menge von
Faktoreien an, die sie in wenige größere zusammenzogen, als ein Strom der
griechischen Auswanderung seine Richtung nach Westen nahm. Phönikisch
waren sicher Motye, auf einer Insel an der Westseite Siciliens, den Ägaten
gegenüber, Eryx; das Vorgebirge des Melkart an der Südküste (Heraklea
Minoa), Soli (Soloi) an der Nordküste und Machanath (Panormus).
Der Hauptschauplatz der phönikischen Kolonisation war das nordafrika-
nische Küstenland. In Ägypten zwar hatten die fremden Kaufleute nur zu
Memphis ein Quartier, und von der ägyptischen Küste bis zur Großen Syrte
findet sich keine phönikische Kolonie genannt; von da an aber beginnt die
erstaunliche Reihe derselben, die sich bis Tingis (Tanger) erstreckte und von
da sich am nordwestlichen Rande bis gegen Senegambien fortsetzte. Waren
auch die meisten dieser Kolonien keine unmittelbaren Gründungen der Phö-
niker, so verdankten ihnen doch beide Leptis, Groß-Leptis im heutigen Tripoli,
Klein-Leptis etwas nördlich von der Kleinen Syrte, sowie Hadrumetum, Utika,
Hippo und das um 800 von lyrischen Auswanderern gegründete Karthago,
das schon als Kambe (Kakkabe) vor 1200 v. Chr. von Sidoniern angelegt
war, ihren Ursprung. Karthago, vielleicht — Elissa (daher der Name der
Gründerin Elissa), berufen, dereinst mit Rom um die Weltherrschaft zu ringen,
wuchs auf Kosten von Tyrus, wie dieses etwa 400 Jahre früher durch Sidons
Mißgeschick emporgekommen war.
Sidons Blütezeit hatte jedenfalls schon um 1600 v. Chr. begonnen
und litt nicht durch den Einbruch der Israeliten in Kanaan unter Josue.
Ein unglücklicher Krieg mit den Philistern aber hatte eine sidonische Aus-
Wanderung, wahrscheinlich aus den Städten der Küstenebenen Sephela und
Saron, zur Folge.