Full text: Die Geschichte Württembergs

§. 25. Allgemeiner Ueberblick. 
63 
Nicht weniger als aus politischem Gebiet sehen wir auf dem geistigen 
und kirchlichen Boden die Geister einen welterschütternden Kampf kämpfen. 
Luther, der arme Augustinermönch, greift keck das Papstthum, die Mißbräuche 
und Irrlehren der Kirche an und predigt das Evangelium von der seligmachenden 
Gnade durch den Glauben an den Erlöser. Ganz Deutschland und viele außer 
seinen Grenzen jauchzen dem Helden zu, der weder des Kaisers Acht, noch des 
Papstes Bann scheut, sondern mit unerschütterlichem Muth bei der von ihm 
erkannten Wahrheit bleibt, in seiner Bibelübersetzung seinem deutschen 
Volke die Quelle der göttlichen Offenbarungen zugänglich macht und dadurch zu¬ 
gleich „der Stammvater des neuen Sprachenbaus" geworden ist 1). — Deutsch¬ 
land hat sich in diesem gewaltigen Kampf um feine innersten, heiligsten Interessen 
von der Vormundschaft des römischen Stuhles losgemacht, aber nicht ohne 
vieles Weh. Wie wurde gleich von Anfang an die Sache der Reformation 
zn politischen Zwecken benützt! Wie hat Kaiser Karl damit gespielt, als wären 
es die profansten Angelegenheiten! Bald verwoben sich die politischen und kirch- 
lichen Streitfragen so fest und innig mit einander, daß sie bei einem Entscheid 
gar nicht mehr zu trennen waren (der Schmalkaldische und der dreißigjährige 
Krieg). Aber unter allen Kämpfen und Widerwärtigkeiten hat die evangelische 
Lehre ihren Lauf durch die Länder gemacht und Anhang gefunden und auch die 
heftigsten Verfolgungen vermochten sie nicht zu unterdrücken. Zugleich wurde 
die Reformation, weil ihre Vertreter entschieden auf gründliches Studium des 
Urtextes der h. Schrift drangen, eine Pflegerin der Wissenschaften, na- 
mentlich der Grundlage aller Volksbildung, der Volksschule. 
Wenn über eine herrliche Flur ein gewaltiger Sturm mit Donner und 
Blitz hinbraust und die ganze Natur in Furcht und Bangen zittert, so bleiben 
von der verderblichen Wirkung des Unwetters wohl einige Strecken Feldes und 
Waldes verschont. Um so schrecklicher trifft das Gewitter andere Distrikte, die 
gleichsam auserlesen scheinen, das Opfer für das Ganze sein zu müssen. Wo 
keimende und sprossende Saaten standen, ist der Boden kahl; die Bäume stehen 
geknickt und zerschlagen, und mit Mühe erkennt das thränenseuchte Auge in den 
traurigen Ueberresten die gehoffte reiche Ernte. Der saure Schweiß des Land- 
manns ist vergeblich geflossen; es bleibt ihm nichts, als aufs neue auf Hoffnung 
zu säen und trotz aller Anstrengungen und Widerwärtigkeiten den Muth nicht 
zu verlieren. Denselben Erscheinungen wie in dem Reich der Natur begegnen 
wir auch auf dem politischen, gesellschaftlichen und religiösen Gebiet. Zu den in 
dieser gewaltigen Zeit der Umwälzung am schwersten betroffenen Ländern Deutsch- 
lands gehört unstreitig Württemberg. 
Unser Land gieng wie das ganze Deutschland seinem Untergang entgegen; 
das Haus Oesterreich raubte ihm seine Selbständigkeit und machte 
es zu einem Reichs- und später zu einem Afterlehen. Zugleich war 
es auch um die Einführung der evangelischen Lehre geschehen; die 
Prediger derselben wurden gefangen, verjagt und hingerichtet. — Oesterreich 
hatte schon früher überall in Schwaben Besitzungen zu gewinnen gesucht und damit 
schon die Grafen Eberhard I. und Eberhard II. eisersüchtig gemacht. Lange vor- 
1) Herder sagt über die Bedeutung der lutherischen Bibelübersetzung für die 
deutsche Literatur: „Luther hat die klassische Büchersprache der Deutschen zuerst fixirt."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.