Full text: Von der französischen Revolution bis zur Jetztzeit (Bd. 6)

4 Die Befreiung der Volkskräfte. 
Der junge Staatenbund gab sich selbst eine Verfassung in republika- 
nischer Form. Ein Präsident trat an die Spitze des Bundes; er wurde 
auf vier Jahre gewählt. Die gesetzgebende Gewalt ist der Kongreß, der in 
Washington, der Bundeshauptstadt, tagt. Dieser Kongreß besteht aus 
zwei Körperschaften, dem Senat und dem Repräsentantenhaus. Bald 
entwickelte sich die „Union" kraftvoll, wirtschaftlich und politisch. Vorläufig 
freilich blieb sie gegenüber den europäischen gewaltigen Bewegungen im 
Hintergrund. 
England fand für den kolonialen Verlust Ersatz in Ostindien und später 
in Australien. Die nordamerikanische Befreiung aber bekam bald besondere 
Bedeutung für Europa, zunächst für Frankreich. 
§ 2. Die französische Geistesbenegung. 
^Ausbruch Reformation war einst in Frankreich blutig unterdrückt worden, 
der Revo- Seit Aufhebung des Edikts von Nantes war jede von dem katholischen Be- 
luticn. 
kenntnis abweichende Glaubensrichtung verboten. Aber die Franzosen waren 
Zu scharfsinnig und hatten bereits zu viel vom Freiheitshauch des Geistes 
verspürt, als daß sie auf die Dauer in den alten Banden hätten festgehalten 
werden können. 
Frankreichs^ Neben der geistigen Knebelung des Volkes ging einher eine schöngeistige 
Literatur am Königshof und fand von dort Eingang in die vornehme Welt 
Frankreichs überhaupt. Genau wie überall, wo das Echte und Wahre er- 
stickt wird, sich an dessen Stelle Unwahres, Unechtes und Frivoles ausbreitet, 
so wurden diese Kreise mit dem schlechten Gewissen frivol und gemein. Man 
sah, daß die Macht und der Reichtum der Lebensgenuß bei den verdorbenen 
Menschen war. Die durften lasterhaft leben, während sie äußerlich zur 
katholischen Kirche hielten. Ja die hohen Würdenträger dieser Kirche selbst 
waren größtenteils nicht besser. Und das waren dieselben Menschen, die 
den andern, der aus echtem, frommem Herzen Gott suchte, mit dem Tode 
bedrohten. Da war es denn kein Wunder, daß das französische Volk, an 
allem, was bis dahin ihm heilig gewesen war, irre wurde. Es begann an 
Gott und der Tugend, an allen sittlichen Begriffen zu zweifeln. Dieser Zweifel 
entsprang aber nicht ehrlichem Suchen nach Wahrheit, sondern war aus wildem 
Begehren und dumpfer Verzweiflung hervorgegangen. 
Der Zweifelgeist (Skeptizismus) ergriff auch die Edleren. Die ganze 
Literatur des 18. Jahrhunderts in Frankreich trug bald diesen Charakter. 
Zwei Hauptströmuugeu lassen sich aber doch unterscheiden. Es gab eine Richtung, 
die von einem unzerstörbaren Hoffnungsdrang getrieben wurde. Der Zweifel- 
geist hatte wohl ihre Beobachtungsgabe geschärft (kritisch gemacht), hatte 
Rou"eau °^ev uoch nicht den Glauben an etwas Höheres zerstören können. Der Haupt- 
(gest.^1778). führet dieser Richtung war Jean Jacques Rousseau. Der glaubte an
	        
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