Object: [Sechster Teil = 4. Klasse] (Sechster Teil = 4. Klasse)

134 4—— 
zu den Sängern, das auszuführen, um deswillen er gekommen war. 
Bevor er aber über ihren Streit sein Urteil abgeben konnte, da trat gegen 
ihn auf Wolfram von Eschenbach, der ihm gram war. Sie sangen mit 
ihren Liedern gegeneinander, aber Wolfram tat so viel Sinn und Geschick 
in seinen Liedern kund, daß ihn der Meister nicht überwinden konnte. 
Nachdem sie eine Weile gegeneinander gesungen hatten, ging Klingsor aus 
dem Rittersaale, beschwor einen Geist, ließ diesen die Gestalt eines Jüng— 
lings annehmen, und indem er ihn zu Wolfram von Eschenbach brachte, 
sagte er zu diesem in Gegenwart des Fürsten und dessen Mannen: 
„Wolfram, ich bin etwas müde, mit dir zu reden; mein Knecht soll eine 
Weile mit dir sprechen.“ Und nun fing der Teufel an zu reden von 
dem Anbeginn der Welt und kam bis auf die Zeit, wo Christus geboren 
ward. Da schwieg er. Wolfram aber sang weiter von der Gnade 
Gottes, die er durch Jesum der Welt erwiesen, und als er sang von 
der heiligen Wandlung des Brotes und Weines, da mußte der Teufel 
von dannen weichen. Klingsor hatte alles mit angehört, wie Wolfram 
mit gelehrten Worten das göttliche Geheimnis besungen hatte, und glaubte, 
daß Wolfram wohl auch ein Gelehrter sein möge. Doch wollte Klingsor 
genauer wissen, ob Herr Wolfram wirklich gelehrt oder nur ein Laie 
wäre, und darum beschwor er noch einmal den Teufel, der sollte es ihm 
erforschen. 
Nun hatte Herr Wolfram seine Herberge bei einem Bürger in 
Eisenach, Titzel Gottschalk mit Namen, dem Brotmarkte gegenüber, mitten 
in der Stadt. Dahin kam der Teufel des Nachts in ein steinernes 
Gemach, welches die düstere Kammer hieß, denn sie hatte kein Fenster, 
war aber zur Zeit Herrn Wolframs Schlafkammer. Und der Teufel 
begann zu sprechen von den Sternen, von des Himmels Lauf und 
Natur, und wie es um die Bilder des Himmels beschaffen wäre. Er 
legte Wolfram auch Fragen vor. Weil dieser aber nur gelehrt war in 
Gottes Wort, in andern Dingen aber unerfahren, so konnte er ihm 
nicht antworten. 
Da lachte der Teufel und schrieb mit seinem Finger in die Stein— 
wand, als ob sie ein weicher Teig gewesen wäre: „Wolfram, du bist 
ein Laie, Schnippenschnapp!“ Darauf entwich der Teufel; die Schrift 
aber blieb an der Wand stehen. Weil jedoch viele Leute kamen, die das 
Wunder sehen wollten, verdroß es den Hauswirt; er ließ den Stein 
aus der Mauer brechen und ins Wasser werfen. 
Klingsor aber, als er die Sänger versöhnt hatte, wollte nicht länger 
bleiben, verabschiedete sich von dem Landgrafen, von dem er noch kostbare 
Kleider und Kleinode zum Geschenke erhielt, und schied mit großem 
Danke von der Wartburg. Wie er aber hinweggekommen, das wußte 
niemand.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.