Johann Heinrich Pestalozzi 63
Lienhards Muth stärkte sich wieder und am Abend machte Gertrud
ihm ein Essen, das er liebte, und sie freuten sich beide des kommenden
Morgen, der Hilfe Arners und der Güte ihres Vaters.
Auch Arner sehnte sich nach dem kommenden Morgen, eine That zu
thun, wie er tausende that, um seinem Dasein einen Werth zu geben
Acht und zwanzigstes Kapitel.
Der Abend vor einem Sesttage im Hause einer rechtschaffenen Mutter.
Gertrud war noch allein bei ihren Kindern. Die Vorfälle der Woche
und der morgende festliche Tag erfüllten ihr Herz. In sich selbst ge—
schlossen und still bereitete sie das Nachtessen, nahm ihrem Mann und
den Kindern und sich selbst ihre Sonntagskleider aus dem Kasten und
bereitete alles vor auf morgen, damit sie am heiligen Tage nichts mehr
zerstreue. Und da sie ihre Geschäfte vollendet hatte, setzte sie sich mit
ihren Lieben an den Tisch, um mit ihnen zu beten.
Es war alle Samstage ihre Gewohnheit, den Kindern in der Abend—
gebetstunde ihre Fehler und die Vorfälle der Woche, die ihnen wichtig und
erbaulich sein konnten, ans Herz zu legen. Und heute war sie besonders
eingedenk der Güte Gottes gegen sie in dieser Woche und wollte diesen
Vorfall, so gut ihr möglich war, den jungen Herzen tief einprägen, daß
er ihnen unvergeßlich bliebe. Die Kinder saßen sull um sie her, falteten
ihre Hände zum Gebet, und die Mutter redete mit ihnen.
Ich habe euch etwas Gutes zu sagen, Kinder! Der liebe Vater
hat in dieser Woche eine gute Arbeit bekommen, an der sein Verdienst
viel besser ist als an dem, was er sonst thun muß. — Kinder, wir dürfen
hoffen, daß wir in Zukunft das tägliche Brot mit weniger Sorgen und
Kummer haben werden. Danket dem lieben Gott, daß er so gut gegen
uns ist, und denkt fleißig an die alte Zeit, wo ich euch jeden Mund voll
Brot mit Angst und Sorgen abtheilen mußte. Es that mir da so manch—
mal im Herzen weh, daß ich euch so oft nicht genug geben konnte; aber
der liebe Gott im Himmel wußte schon, daß er helfen wollte und daß es
besser für euch sein meine Lieben, daß ihr zur Armut, zur Geduld und
zur Überwindung der Gelüste erzogen würdet, als daß ihr Überfluß hättet.
Denn der Mensch, der alles hat, was er will, wird gar zu gern leicht—
sinnig vergißt feines Gottes und thut nicht das, was ihm selbst das
Nützlichste und Beste ist. Denkt doch, so lange ihr leben werdet, Kinder,
an diese Armut und an alle Noth und Sorgen, die wir hatten, so wie
ihr Mangel leiden mußtet. Vergesset nie, wie Hunger und Mangel ein
Elend ist, auf daß ihr mitleidig werdet gegen den Armen, und wenn ihr
einen Mund voll Überflüssiges habt, es ihm gerne gebet. — Nicht wahr,
Kinder ihr wollt es gern thun?
O ja, Mutter, gewiß gern, sagten alle Kinder.
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