Full text: Geschichte der neuesten Zeit (Teil 4)

48 Das Napoleonische Kaiserreich und die Befreiungskriege. 
wann und wo er wollte: mitten in der Schlacht bei Wagram, als er die 
Entscheidung gesichert sah, mußte sein arabischer Diener Rustan ihm ein 
Bärenfell auf den Boden breiten, und er schlief eine halbe Stunde fest. 
Das Lachen hatte er verlernt; nur ein spöttisches Lächeln konnte man mit- 
unter bei ihm wahrnehmen. 
Aber bei all seiner Machtfülle war ihm nicht gelungen, England 
niederzukämpfen; die Festlandsperre wurde durch einen schwunghaften 
Schmuggel durchbrochen, an dem sich besonders Hamburg und Helgoland 
bereicherten. 
2. Die Tilsiter Freundschaft lockerte sich mehr und mehr. Die Russen 
trieben fast nur Ackerbau; sie konnten die' Erzeugnisse der engli- 
scheu Industrie nicht entbehren, an die sie schon seit den Tagen der 
Königin Elisabeth gewöhnt waren. Daher erleichterte der Zar den Absatz 
englischer Waren unter neutraler Flagge und erschwerte dagegen, um seine 
Kassen zu füllen, die Einfuhr französischer Erzeugnisse, des Weins und der 
Seide, durch hohe Zölle. Damit hatte er die Festlandsperre durchbrochen, 
die sein Land schädigte. 
Auch persönlich fühlte sich Alexander durch seinen Verbündeten verletzt. 
Der entthronte Herzog von Oldenburg war sein naher Verwandter; im 
Schönbrunner Frieden hatte Napoleon das Herzogtum Warschau ver- 
größert: Rußland mußte die Erneuerung des Königreichs Polen befürchten, 
durch die es vom Westen unseres Erdteils abgeschnitten wurde. 
So mußte der Krieg kommen. Napoleon wollte jedoch Rußland vor¬ 
läufig nur unschädlich machen, um für seine Unternehmungen gegen England 
die Hände freizubekommen. 
Einen ganzen Monat dauerte der Durchmarsch von Truppen aller 
Waffengattungen durch Frankreich und Deutschland. Alles eilte herbei, 
den Gewaltigen zu sehen, den neuen Attila. In Dresden strömten 
die deutschen Fürsten huldigend zusammen, auch der König von Preußen 
und das österreichische Kaiserpaar: zum erstenmal waren alle Deutschen 
einem Herrn dienstbar: einem fremden! 
3. Am Johannistag früh ging Napoleon mit dem Hauptheer zwischen 
Grodno und Kauen (Kowno) über den Njernen. „Das Schicksal muß 
erfüllt werden!" rief er seinen Kriegern zu. Der russische Feldherr B arc- 
lay de Tolly zog sich vor der Übermacht zurück: ein Livländer, der in- 
mitten seiner Soldaten zunächst dem Feinde am Biwakfeuer zu lagern und 
sich zur Schlacht zu schmücken pflegte wie ein Spartaner. Die Einwohner 
verließen ihre Dörfer und Städte; die Vorräte reichten kaum für die 
Russen; selbst die Strohdächer fanden die Truppen von den Pferden 
der vor ihnen herziehenden Abteilungen abgefressen. So geriet die „Große 
Armee" in immer schlimmere Not. Die Wagen voll Lebensmittel und die
	        
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