12 Die 4. Epoche der römischen Religion. ni. § 5.
Seit Hadrian und den Antonrnen
gewann der Gottesdienst der Ägypter,
Syrer, Phryger und Perser wieder bedeu¬
tenden Einfluß. Zuletzt wurde die Religion
verworren, geistlos und roh. Die Zahl der
Götter und Gottesdienste vermehrte sich aus
eine wahrhaft beängstigende Weise.
Die griechische Bildung gelangte immer
mehr zur alleinigen Herrschaft und mit ihr die
griechische Mythologie; aber diese nur in ihrer
symbolischen (sinnbildlichen) Bedeutung, denn der
religiöse Inhalt hatte sich schon lange verloren.
Da die Welt aber das Bedürfnis nach einem
solchen empfand, so wurden die alten Götter
aller Länder sowohl von den Griechen, wie von
den Römern angenommen, und ihr Dienst mit
allen dazu gehörenden Priestern und Pfaffen
ward begierig eingeführt. Die abergläubische
Geheimweisheit dieser Leute beschäftigte Gebildete
und Ungebildete in Rom und Italien, in Ko¬
rinth und Athen, in Ephesus, Antiochien und
Alexandrien aufs angelegentlichste.
In Ägypten entwickelte sich unter den
Ptolemäern der Serapisdienst, von Ptole-
mäus Philadelphus eingeführt, zu besonderer
Blüte. Der Name Serapis ist altägyptischen Ur¬
sprungs, entstanden aus Ostris-Apis, eigentlich
Osiris als Stier. Weil aber Osiris, während
seine Seele in dem Apisstiere fortlebt, auch
König der Unterwelt ist, bedeutete der Name
Serapis vorzugsweise diesen, den Pluton
der Griechen. Letztere übertrugen noch die
Eigenschaften mehrerer anderer Götter: des
Äsculap,^ des Hephästus und sogar des Zeus auf
den Serapis.
Unter den Ptolemäern verdrängte der Cul¬
tus des Serapis ganz den desOsiris. „Serapis
hatte nicht weniger als 42 Tempel in Ägypten.
Dieser neue Gottesdienst verbreitete sich mit dem der Isis sehr schnell über Kleiuasien
und Griechenland und machte sich durch den ausländischen Reiz seiner Symbolik,
durch das Geheimnis seiner Weihen und durch seinen Anschluß an Schiffahrt und
Handel überall beliebt. Über Sicilien kam er auch nach Neapel.
In diesem Zeitalter war es ein Lieblingsgedanke der Menschen, daß die
höchste, göttliche Macht der natürlichen, geistigen und sittlichen Ordnung der Dinge
in der Erscheinung der Sonne sich darstelle. Diesen Glauben machten sich die rö¬
mischen Kaiser gerne zu eigen und gaben ihm die Wendung, als ob der Kaiser
die höchste Macht auf Erden sei, wie der Sonnengott am Himmel. Dies war
ein kaiserlicher Sonnencultus. Eine volkstümliche Form desselben mit Aberglauben
und geheimen Weihen verbunden war der Mithrasdienst mit seinen Mysterien,
welcher altpersischen Ursprungs ist. Mithras ist ein alt-arischer Gott des Lichts.
Er wird abgebildet als jugendliche Erscheinung in „dem nationalen Anzuge der Meder,
Perser und Armenier, als ein Kämpfender und Überwinder in dem Augenblicke, wo
er mit seinem Dolch einen Stier niederbohrt. Der Stier bedeutet die dem himmli¬
schen Lichte entgegengesetzte irdische Natur.
Das Geheimnis der Zukunft reizte die Menschen dieser Zeit außerordentlich;
daher finden sich denn auch jetzt die Orakel re. zahlreicher als in irgend einem an¬
deren Zeitpunkt der Culturgeschichte. _ Die zwar oft verbotenen Künste der Astro¬
logie (Sterndeuterei) und der Magre (Zauberkunst) waren in Rom das beliebteste
Mittel, die Zukunft zu erforschen.
Die Astrologre ist, wie wir bereits wissen, ägyptischen und babylonischen
Ursprungs, und ihre Meister hießen bei den Griechen und Römern Chaldäer.
Fig. 4.
Fortuna, Marmorstatue in der
Sammlung tiiustmiani in Rom.