26. Der dramatische Aufbau von Schillers Wallenstein. 227
Umkehr und die Katastrophe für beide Helden, Wallenstein und Mar,
enthalten, und trotz der großartigsten Ausführung hätte diesem zweiten
Stücke die Spannung zu sehr gefehlt.
Schiller entschloß sich daher mit Recht, die Teilung weiter nach vorn
zu verlegen und das erste Stück mit der großen Kampfscene zwischen
Vater und Sohn zu enden. Die „Piccolomini" verloren dadurch an Ge¬
schlossenheit, aber „Wallensteins Tod" gewann die unentbehrliche Ordnung
im Bau. Man beachte wohl, daß Schiller diese Änderung erst in der
letzten Stunde machte, und daß ihn wahrscheinlich weniger die Rücksicht
auf die Architektur der Teile, als auf den ungleichen Zeitraum, welchen
nach der ursprünglichen Einteilung die Aufführung der beiden Stücke ge¬
fordert hätte, bestimmte. In der Seele des Dichters formte sich die große
Handlung nicht ebenso, wie wir uns dieselbe ihm nachsinnend aus dem
fertigen Stücke konstruieren. Er empfand mit souveräner Sicherheit den
Verlauf und die poetische Wirkung des Ganzen, die einzelnen Teile des
komplicierten Baues ordneten sich ihm in der Hauptsache mit einer ge¬
wissen Naturnotwendigkeit; das Gesetzmäßige der Gliederung machte er
sich keineswegs überall durch verständige Überlegung so deutlich, wie
wir vor dem fertigen Kunstwerke nachschaffend zu thun genötigt sind.
Dem ungeachtet haben wir ein gutes Recht, dieses Gesetzmäßige nachzu¬
weisen, auch da, wo er es nicht, reflektierend wie wir, in einer Formel
erfaßt hat. Denn das gesamte Drama „Wallenstein" ist in der Ein¬
teilung, welche der Dichter zum Teile als selbstverständlich bei der ersten
Conception und wieder für einzelne Stücke erst spät, vielleicht aus
äußerer Veranlassung gefunden hat, ein fest geschlossenes und regel¬
mäßiges Kunstwerk.
Es ist sehr zu bedauern, daß unsere Theaterverhältnisse unmöglich
machen, das ganze Kunstwerk in einer Aufführung darzustellen; erst da¬
durch würde man die schöne und große Wirkung erhalten, welche in der
kunstvollen Anordnung liegt. Wie die Stücke jetzt gegeben werden, bleibt
für das erstere immer der Übelstand, daß seiner Handlung der völlige Ab¬
schluß fehlt; für das zweite, daß seine Voraussetzungen zahlreich sind,
und daß die Katastrophe einen übergroßen Raum (zwei Akte) bean¬
sprucht. Das würde bei einer zusammenhängenden Darstellung in das
richtige Verhältnis treten. Der prachtvolle Prolog „Das Lager" wäre
als Introduktion nicht zu entbehren. Es ist denkbar, daß eine Zeit kommt,
wo dem Deutschen die Freude wird, sein größtes Drama im Zusammen¬
hange zu genießen. Unthunlich ist es nicht, wie groß die Forderung
an die Darsteller sei. Denn keine der Rollen mutet, auch wenn beide
Stücke hintereinander gegeben werden, einer starken Menschenkrast Un¬
überwindliches zu. Auch die modernen Zuschauer sind in ihrer großen
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