Full text: Abriß der Weltgeschichte mit eingehender Berücksichtigung der Kultur- und Kunstgeschichte für höhere Mädchenschulen

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um desto bessern Appetit zum Mittagessen mitzubringen. Aber was 
geschah? Als der Storch ankam, wurde er mit großer Höflichkeit 
aufgenommen und an die schön gedeckte Tafel geführt. Auf dem 
Tische stand wirklich sehr kostbare Krebssuppe und herrlicher Brei 
mit Zucker und Zimmet und süßer Brühe. Aber alles das war 
nicht in Schüsseln, sondern auf ganz flachen Tellern. Auch waren 
weder Fleisch noch Brot noch Löffel zu sehen. 
Das kam dem Storche sonderbar vor; denn mit seinem langen 
Schnabel und seiner kurzen Zunge konnte er von den flachen Tellern 
nichts schlürfen und nichts lecken. Jetzt fing der Fuchs an einzu— 
laden und zu nötigen und hatte seinen Spaß an der Verlegenheit des 
hungrigen Storches und um ihn noch mehr zu ärgern, nahm er 
selbst einen Teller nach dem andern vor sich und schlürfte und leckte 
alles rein auf. Und dazwischen sagte er zu seinem Gaste: Ei, ei, 
Herr Vetter, ist Ihnen denn gar nichts gefällig? Sie sind doch nicht 
blöde? Oder haben Sie vorher zu Hause etwas Besseres gespeist? 
Machen Sie es doch wie ich und greifen Sie zu! Der Storch, der 
wohl sah, daß er angeführt war, schwieg still und ging nach Hause, 
als wenn gar nichts vorgefallen wäre. 
Aber nach einigen Tagen schickte der Storch seinen Diener 
ebenfalls zu dem Herrn Fuchs und ließ ihn zum Abendessen bitten. 
Der Fuchs dachte: Was für ein einfältiger Storch! Der hat noch 
nicht einmal gemerkt, wie ich ihn zum besten gehabt habe, und 
ließ eine Empfehlung sagen und er wolle kommen. Als er nun 
in des Herrn Storchs Wohnung kam, fand er alles sehr schön ein— 
gerichtet. Der Tisch war zierlich gedeckt und aus der Küche roch 
es so gut, daß einem der Mund wässerte. Gewiß, dachte er, hat 
der Storch Froschschenkel braten und Goldfische backen lassen, weil 
er weiß, daß das mein Leibgericht ist. Und er konnte gar nicht die 
Zeit erwarten, bis die Gerichte alle kämen. 
Endlich wurde aufgetragen. Aber da war kein Teller und 
keine Schüssel zu sehen. Alles war in Flaschen und Krüge mit engem 
Halse gesteckt. Da wurde es dem Fuchse bedenklich; denn er sah, 
daß er mit seinem Kopf in die Flaschen und Krüge nicht hinein 
könne und daß es für ihn kein Mittel gäbe, die guten Speisen heraus— 
zukriegen. Der Storch aber sprach: Nun, Herr Vetter, langen 
Sie gefälligst zu! Ich gebe es Ihnen gern. Und zugleich steckte 
er seinen Schnabel in einen Krug und holte sich ein Stück Ge— 
bratenes und Gebackenes nach dem andern heraus und man sah
	        
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