§ 36. Die Folgen des dreißigjährigen Krieges für Deutschland. 187
baren das Ausland nachahmten, so schlossen sich die Regierungen fremden
Herrschern an, kämpften zu deren Vorteil widereinander und wider Kaiser
und Reich. So mußte das zerrissene, ermattete Deutschland in Handel und
Politik die Übermacht der Fremdlinge ertragen und gar oft den Übermut
welscher Herrscher schrecklich kennen lernen.
2. Allgemeiner wirtschaftlicher Zustand. Deutschland hatte durch
den Krieg furchtbar gelitten. Aus dem blühenden, Volk- und ortereichen
Kulturlande zur Zeit der Kirchenverbesserung war es größtenteils ein aus¬
geraubtes, verwüstetes, an Menschen und Besitz armes, an Trümmern
reiches Land geworden, in dem wie mehrere Jahrhunderte vorher wieder
der Ackerbau fast der einzige Erwerbszweig war. Man hat berechnet,
daß die Hälfte oder gar zwei Drittel der ganzen deutschen Bevölkerung
durch das Schwert und Martern, durch Seuchen und Not zu Grunde ge¬
gangen waren. Die Rheinpfalz zählte 1648 nur 48000, Württemberg
(von 300000) kaum noch so viele Einwohner, Böhmen (von drei Millionen)
nur 780000. Nicht minder groß war die Einbuße an Hab und Gut.
Wohl hatten einige Handelshäuser noch gesicherte Kapitalien in italienischen
Banken und Geschäftsunternehmungen stehen, aber der Hauptsache nach war
außer in den drei letzten Hansastädten Edelmetall den früheren Besitzern
fast ganz abhanden gekommen. Nach einer Aufstellung, die sich im Reichs¬
archiv zu Stockholm befindet, sind nahezu 2000 Edelsitze, über 1600 Markt¬
flecken und Städte und nicht weniger als 18 300 Dörfer, ungefähr ein
Sechstel aller ländlichen Siedelungen, vernichtet worden. Magdeburg lag
beinahe noch ganz in Schutt und Asche, in den meisten noch bestehenden
Städten waren sehr viele Häuser unbewohnt und baufällig. Wo sich ehe¬
dem im Sommer stundenweit wogende Saatfelder ausdehnten, fand man
nun häufig die Äcker mit dichtem Strauchwerk und wucherndem Unkraut bedeckt;
die Wiesen aber waren in sumpfige Moräste verwandelt, weil die Dämme,
welche den Unterlauf der Flüsse begleitet hatten, verfallen waren, über ein
Drittel von Norddeutschland lag mehr als 4 Jahrzehnte unbebaut da.
Handel und Gewerbfleiß lagen derart danieder, daß nun fremdländische
Erzeugnisse die deutschen Gaue überschwemmten und Deutschland somit eine
Handelsprovinz Englands, Hollands und auch Frankreichs wurde. Der
Verlust an Menschen und Besitz bewirkte, daß nunmehr Frankreich, bis 1840
das menschenreichste Land in Europa, die Vorherrschaft im Abendlande
beanspruchen und mehrmals auch erwerben konnte. Der furchtbare Nieder¬
gang Deutschlands durch den langen Krieg und die Zerrissenheit des Reiches
und Italiens waren die Vorbedingungen des Anssteigens der Welschen im
Westen. Die Losreißung Hollands aber brachte die anderen niederdeutschen
Stämme um die Teilnahme am asiatisch-afrikanischen Handel und an der
Besiedelung überseeischer Länder, das Reich aber um den Besitz einer mäch¬
tigen, sieggewohnten Kriegsflotte. In Deutschland war es noch auf ge¬
raume Zeit schlecht mit der Sicherheit draußen vor den Toren bestellt, da
sich Tausende von Landstreichern und Strolchen, zu denen sich zahlreiche
entlassene Soldaten und verwilderte Bauern gesellten, in den Wäldern und
auf den Landstraßen umhertrieben. (Vgl. den Roman von Chr. von Grimmels¬
hausen: „Simplicius Simplicissimus".)