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Im neuen deutschen Reich.
vertrat rr sogar den Lehrer, als dieser an das Krankenbett seiner entfernt
wohnenden Mutter gerufen wurde. — In Potsdam gab das kronprinzliche
Paar jährlich ein Kinderfest, an welchem die Bornstedter Jugend und
andere Kinder teilnehmen durften. Bei solcher Gelegenheit hatten die er¬
schienenen Knaben und Mädchen durch Spielen und andere Veranstal¬
tungen einen sehr frohen Tag. Unter den Klängen munterer Tafelmusik
erhielten alle kleinen Gäste Kaffee und Kuchen, und die Kronprinzessin,
sowie die Prinzessinnen und Prinzen sorgten dafür, daß ein jedes
Kind bedient wurde, während der freundliche Kronprinz unter der Jugend
umherwandelte.
Erntefest. Weihnachtsfest. Nach beendeter Ernte wurde den Be¬
wohnern von Bornstedt ein Fest gegeben. Wenn die hohe Gutsherrschast
selbst anwesend war, so sagte die Großmagd ihren gereimten Spruch her,
und der Vormäher sprach ein Gedicht. Auf dem Hofe wurden lange
Tafeln gedeckt, auf welche große Schüsseln mit Speisen gesetzt wurden.
Nachdem der Pfarrer das Gebet gesprochen, bedienten die Familienglieder
des Kronprinzen alle Gäste selbst, und an die Tagelöhner wurden
freundliche Worte gerichtet. Auf das Mahl folgte der Tanz, an dem zu
Anfang auch wohl die Prinzessinnen teilnahmen. — Am Weihnachtsfeste
wurden alle auf dem Gute beschäftigten Arbeiter im Saale des Amtshauses
um einen großen Weihnachtsbaum versammelt. Nach beendetem Gesang
und Gebet fand die Verteilung der Geschenke statt. Dann begaben sich
alle in die Schule, wo sich die Dorsjugend um den hellstrahlenden Weih¬
nachtsbaum scharte und nach der Feier Kleidungsstücke, Bücher und andere
Geschenke erhielt. Für jeden aber hatte die Gutsherrschaft, wenn sie zu¬
gegen sein konnte, ein freundliches Wort.
Kronprinz und Fähnrich. Als Kaiser Friedrich noch Kronprinz
war, wohnte er (1877) in der Umgegend von Königsberg in Pr. dem
Kaisermanöver bei. Nachdem die Parade vor Kaiser Wilhelm stattgefunden
hatte, begaben sich die höchsten Herrschaften in das Stadtschloß der alten
Krönungsstadt. Hier lag einem Fähnrich der Dienst bei der Wache ob.
Spät abends kam der Kronprinz an und sand, daß der Fähnrich nach den
großen Anstrengungen des Tages im Wachthause am Tische saß und ein¬
geschlummert war. Vor ihm lag ein Papier, auf welchem geschrieben
stand: „Liebe Mutter! Heute habe ich nach der Parade erfahren, daß ich
in den nächsten Tagen zum Offizier befördert werden soll. Freue Dich
mit mir! Doch wie wird's mit der Beschaffung der Uniform werden?
Du hast alles für mich gethan, bist arm, und ich muß mir anderweitig
Rat verschaffen. Schulden, ein hartes Wort, und wer wird sie be¬
zahlen?" Als der Kronprinz die Worte gelesen hatte, nahm er
dem Jüngling behutsam die Feder aus der Hand, schrieb unter die Frage
seinen Namen: Friedrich Wilhelm Kronprinz und entfernte sich,
ohne den Fähnrich zu wecken. Wie erstaunte aber der junge Krieger, als
er beim Erwachen die Beantwortung seiner Frage las, und erfuhr, wer
ihn besucht hatte. Kurz darauf löste der Kronprinz wirklich sein Ver¬
sprechen ein, und wie glücklich der Jüngling war, kann man sich denken.
Friedrich als Freund der Wissenschaft, der Kunst, sowie
der Schule. Friedrich war ein großer Freund der Wissenschaften und
Künste. Auf seinen vielen Reisen hatte er sich reiche Kenntnisse angeeignet,
und es war seine Fürsorge, den Sammlungen in den Museen Berlins
eine größere Ausdehnung und Ordnung zu geben. Im Verein mit seiner
Gemahlin ließ er es sich angelegen sein, das Handwerk und Kunstgewerbe