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auch ungefähr eben so viele Civil- und Privatuniform tragen, die Beamten, Poli¬
zisten, Lakaien, Bedienten u. s. w., weshalb denn fast das ganze Publikum bordiert,
belitzt, besternt, verbrämt und eingekantet erscheint.
Da das Wetter des Petersburger Himmels erstaunlich wankelmütig ist, so
verändert sich der Anblick des Petersburger Straßenpublikums ungemein häufig.
Im Winter die dicken Pelze, im Sommer die leichten Flore und Seidenstoffe.
Am Abende alles in Mantel und Capots, am Tage alles luftig und bloß. Im
Sonnenschein die flatternden Elegants und Modedamen, im Regen alles Elegante
verschwunden und nichts als schwarzes Volk. Heute auf denffSchnee alles Schlitten
und Schleife, morgen auf den Steinen alles Wagen und klapperndes Rad.
Noch mehr als die Verschiedenheit des Wetters ändert die Verschiedenheit
der Religionen den Anblick des Publikums. Freitags, am heiligen Tage der
Mohammedaner, ergehen sich die Turbans, die schwarzen Bärte der Perser und die
geschorenen Köpfe der Tataren auf den Straßen. Am Sabbath erscheinen die
schwarzseidenen Kaftans der Juden, und am Sonntag jubeln die Scharen der
Christen hinaus. Dazu die Verschiedenheit der christlichen Sekten. Heute läuten
die Lutheraner zum Bußtage und man sieht die deutschen Bürger, Vater, Mutter
und Tochter, schwarze Gesangbücher unter dem Arm, nach der Kirche pilgern, —
morgen rufen die Glocken die Katholiken zu einem Feste der unbefleckten Jung¬
srau, und Polen, Litauer, französische und österreichische Unterthanen wallen zu
den Tempeln; — übermorgen aber bimmeln die tausend Glocken der griechischen
Kolokolnicks, und nun summt und flattert es auf allen Straßen von den gras¬
grünen, blutroten, schwefelgelben, veilchenblauen Töchtern und Frauen der russischen
Kaufleute. An großen Staatssesten aber, den sogenannten „Kaiserlichen Tagen",
erscheinen dann alle Trachten, alle Farben und Moden, die von Paris bis Peking
gang und gäbe sind. Es ist, als wenn Noahs Arche an der Newa gestrandet
wäre uub ihres sämtlichen bunten Gefieders sich entledigt hätte.
Eine merkwürdige Festlichkeit ist die alljährlich am 6. Januar stattfindende
Taufe der Newa, wodurch die ganze Stadt in heilige Aufregung versetzt wird.
Die Newa ist äußerst fischreich, trägt sehr große Schiffe und gewährt den Peters¬
burgern zugleich das Trinkwaffer und in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen die
wesentlichsten Erleichterungen. Es ist daher wohl begreiflich, daß sie ihnen ein
Gegenstand der Verehrung ist, der sich in einem feierlichen Kultus kundgiebt, der
in der hochpriesterlichen Weihe des Wassers besteht, das dann von tausenden und
abertausenden in Gefäßen aller Art geschöpft und nach Hause gebracht wird, um
damit ihre Bogs, Gottesbilder, die jeder Russe in seinem Hause hat, zu besprengen
und die bösen Geister zu bannen. Das Wasser, also geweiht, wird gleicherweise
auch für eine Universalmedizin gegen Krankheiten des Körpers und des Geistes
gehalten. — Die Feierlichkeit selbst beginnt inittags 12 Uhr in dem Augenblicke,
ivo der Kaiser unter dem Donner der Kanonen von der Citadelle entblößten
Hauptes sein Palais verläßt und, gefolgt von seinem ganzen Hofe, dem Stabe
und der höheren Geistlichkeit, dem großen, mit Heiligenbildern verzierten, aus dem
Eise errichteten Pavillon zuschreitet. Das bis jetzt ununterbrochen tönende Ge¬
läute verstummt, und der Archimandrit mit seiner Geistlichkeit stellt sich an die
Öffnung im Eise, liest die Messe, segnet das Wasser der Newa und ruft: „Herr,