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XXVIII. Ludwig XIV.
1. Die ersten Raubkriege. Der Raub Straßburgs. Gerade so,
wie Deutschland im 30 jährigen Kriege heruntergekommen war, wollte
es der Ehrgeiz Frankreichs haben. Auf den Trümmern Deutschlands
wollten die Franzosen ihre Herrschaft über Europa auferbauen. Wäh¬
rend Deutschland aus einem mächtigen Einheitsstaat ein lockerer Staaten¬
bund geworden war, hatte sich Frankreich zu einem von einer Nation
bewohnten, von einem König absolut beherrschten Einheitsstaat entwickelt.
Schon Richelieu, der allmächtige Minister Ludwigs XIII., war diesem
Ziele nahegekommen (S. S. 79). Was er begonnen, vollendeten Ma-
zarin, der Vormund Ludwigs XIV., uud dieser selbst.
Ludwig XIV. 1643—1715 hatte sich vorgenommen, die Grenzen
Frankreichs abzurunden und zu erweitern. Wenn er auch selbst kein
hervorragend bedeutender Mann war, so verstand er doch die Kunst, die
bedeutendsten Männer in das Amt zu setzen, das ihrer Begabung an¬
gemessen war. Als Feldherren dienten ihm Turenne, der Marschall von
Luxemburg, Villars, Vendome, als Kriegsminister Louvois, als Finanz¬
minister Colbert, als Festungsbaumeister Bauban. Sein Ziel erreichte
Ludwig in den drei Raubkriegen: Im ersten eroberte er 12 Städte in
Flandern, im zweiten 1672—1678 die Freigrafschaft. Beide Gebiete
verlor Spanien.
Jetzt fand er es viel bequemer, im Frieden weite Landstrecken an sich
zu reißen. Er errichtete die Rennions-, d. h. Wiedervereinigungsgerichte,
welche untersuchen sollten, ob irgend ein Land jemals zu einem der in
den letzten Friedensschlüssen an Frankreich abgetretenen Länder gehört
hatte. Das Gericht bestimmte, was der Herrscher wollte, und so war
bis 1680 schon in 600 einzelnen Gebieten, Bistümern, Grafschaften,
Städten, Dörfern, Rittergütern, Fabriken, Mühlen nnd Meierhöfen,
das französische Wappen angeschlagen, was von französischen Soldaten
ohne Widerstand des deutschen Reiches geschah.
Unterdessen stritten die kurfürstlichen und fürstlichen Gesandten auf
dem Reichstage zu Regensburg darüber, ob erstere aus purpurnem, letz¬
tere auf grünem Samt sitzen sollten, wer mit goldenen Messern und
Gabeln und wer nur mit silbernen essen dürfe.
1681 Nun streckte der König seine Hand nach Straßburg aus, der herr¬
lichsten Perle deutscher Städte, welche in Kunst und Wissenschaft, Handel
und Industrie groß dastand.
Mit einzelnen Verrätern hatte er verräterische Verbindungen an¬
geknüpft, zu Jetten besonders der Stadtschreiber (2. Bürgermeister) und
der Bischof Egon von Fürstenberg gehörten. Dieser wollte das Stra߬
burger Münster der katholischen Kirche zurückgeben, jener, der einzige,
welcher in Straßburg einen französischen Brief schreiben konnte, besorgte
den verräterischen Briefwechsel. Keineswegs war schon seit langer Zeit
die französische Sprache in Straßburg gebräuchlich; als Goethe
dort 1772 studierte, sprach niemand im Elsaß französisch mit Ausnahme
der Vornehmen.