Vorrede. IX
überlassen müßte, abgesehen von der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, in dem
kurzen, dem Geschichtsunterricht zugemessenen Zeiträume die Seetüre zu leiten
uno zu überwachen, und zu verhüten, daß durch Trägheit und Pflichtvergessen-
heit von Seiten der Schüler die ganze Unterlage wanke oder in Brüche
auseinandergehe. —
Ich kann mich leider auf die Beleuchtung oder Widerlegung der ver-
schiedenen Ansichten und Methoden hier nicht einlassen. Ich wollte nur durch
die Andeutung der divergirenden Richtungen den Ausspruch begründen, daß
man für die BeHandlungsweise des Geschichtsunterrichts noch keinen festen
Boden gewonnen habe. Sind aber schon die formalen Schwierigkeiten so
groß, wie unsicher und peinlich wird erst die Lage des Geschichtslehrers in
Bezug auf den Inhalt, auf Tendenz und Färbung der Geschichtserzählung,
auf die Grundsätze im Urtheil! Ich brauche Sie nicht einzuführen in das
dunkle und verwirrende Labyrinth gouvernementaler und kirchenregimentlicher
Regulative, welche so oft von der Schule den frischen Luftzug ferne zu
halten suchen und namentlich den Geschichtsunterricht mit besonderer Für-
sorge in der rechten Bahn zu halten beflissen sind! Ich brauche Sie aber
auch andererseits nicht aufmerksam zu machen, wie die Geschichte so oft
die verwitterten und schadhaften Bausteine für die Heerstraße der destruetiven
Gewalten, für die Tempel der negirenden Mächte liefern muß! Zwischen
diesen verschlingenden Ungethümen als treuer Pilote durchzusegeln, ohne den
Blick von den lichten Gestirnen zu wenden und ohne den Glauben an den
Sieg der Wahrheit aus der Brust zu verlieren, ist der schwere Beruf des
Geschichtslehrers.
Zum Glück bietet sich ihm die Geschichte selbst als der sicherste Leitstern
dar. Wie auch der Geist finsterer Zeiten und Menschen sich abgemüht hat,
der Weltgeschichte sein dunkles, umheimliches Siegel aufzudrücken, sie erhebt
noch immer stolz ihre Strahlenkrone über den Dunstkreis niederer Erd-
gewalten; sie bildet noch immer das Weltgericht, vor dessen Urtheil die
Ungerechten, die Frevler an den ewigen Gütern der Menschheit, im Stillen
erbeben, sie ist noch immer der hohe Tempel, dessen goldene Kuppel und
harmonischer Bau in erhabener Wurde und Majestät ruhig fortbestehen,
unbekümmert um die Stürme, die den Eingang umbrausen und um das
eitle Bemühen, falsche Götter in das Heiligthum einzuführen. Und daß sie
diesen Charakter der Unbeflecktheit treu bewahre, ist die hohe Aufgabe der
Geschichtslehrer, die sich als treue Hüter mit blanker Waffe vor sie stellen
und ihre Ehre schützen und vertheidigen.
Und dieser ritterliche Beruf bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der
Geschichte, er bezieht sich auch auf Fornl und Methode. Der Geschichtslehrer
hat nicht nur die heilige Pflicht, jedes aufrichtige Streben mit gerechtem
Sinne zu würdigen und zu richten, jedes unlautere und frevelhafte Beginnen
wit Freimuth und männlichem Sinne zu rügen, mit allen Kräften zu ringen,
daß die Geschichte nicht im Parteiinteresse entstellt, nicht im Dienste einer
vorübergehenden Tendenzströmuna, einer politischen oder kirchlichen Orthodoxie
mißbraucht werde; er hat auch darüber zu wachen, daß das edle Metall in
würdiger Form dargestellt werde, daß die Weltgeschichte, ob sie gedrängt und
übersichtlich oder umfassend und ausführlich behandelt wird, vor den Augen
des Schülers als ein Ganzes erscheine, so daß sie selbst in ihren dürftigsten
Umrissen eine reiche Welt von gewaltigen Thaten und Persönlichkeiten
ahnen lasse. So wenig ein besonnener Lehrer bei Behandlung der classischen
Sprachen sich von den alten Sprachsormen und grammatischen Ordnungen
entfernen wird, so wenig darf auch der Geschichtslehrer die überlieferten