§• 250. 251. Verfall des Ritterwesens und Entartung der Kirche. 173
lichen Töne der alten Kirchenmusik mit dem ergreifenden Orgelspiel dienten
der religiösen Andacht, und in dem zur innern Sammlung auffordernden Glocken-
gelänte sollte die Sehnsucht zum Höhern im Gemüthe des Menschen geweckt werden.
V. Verfall des Ritterwesens und Entartung der Kirche.
1. Vag Zwischenreich (Interregnum), 1250—1273.
§. 250. Nach dem Tode Friedrichs II. trat für Deutschland eine ver¬
hängnisvolle Zeit ein. Auswärtige Fürsten ohne Macht und Einfluß führten
den Kaisertitel, indeß im Innern Unordnung und Gesetzlosigkeit waltete und
nur der Starke sich Recht zu verschaffen vermochte (Faustrecht). Als
SBtlhelm von ,Rolland (§. 237) im Kampf wider die tapfern Friesen gefallen 3^*«
war, lenkte der Erzbisch of von Köln die Wahl auf den reichen Richard von
Cornwallis, den Bruder des Königs von England, während der Erz bisch of
von Trier und sein Anhang Alfons X. den Weisen von Caftilien mit dem
Kaisernamen zierten. Jener fuhr einigemal mit Schätzen beladen den Rhein
herauf, um die Habgier der Fürsten, die ihn gewählt, zu befriedigen; der letztere
besuchte nie das Reich, zu dessen Herrschaft er berufen war. In dieser „kaiserlosen"
Zeit suchten die Fürsten und Bischöfe ihr Gebiet zu vergrößern und Hoheitsrechte
an sich zu reißen, während die Ritter und Vasallen ihre Stärke zu Raub und
Wegelagern mißbrauchten. Von ihren Burgen herab, die, wie noch jetzt ihre
Ruinen beweisen, an den Ufern schiffbarer Flüsse oder an der Seite belebter Heer-
straßen angelegt waren, führten sie ein wildes Raubleben, schleppten Reisende in
ihre Burgverließe, um schweres Lösegeld zu erpressen, plünderten die Güterwagen
der Handelsstädte und trotzten hinter ihren festen Mauern den machtlosen Gesetzen
und Gerichten. Von der Zeit an ging das große, ruhmvolle Reich einem trostlosen
Verfalle entgegen. Es war nur ein schwacher Nothbehelf gegen die Gewalttaten
des Faustrechts und den frechen Uebermuth des gewappneten Mannes, daß das
Freigericht der heiligen Fehme, das seinen Hauptfitz auf der „rochen Erde" in
Westfalen unter der Leitung des Erzbischofs von Cöln hatte, den Frevler und
Verbrecher durch die Furcht vor geheimer Gerechtigkeitspflege und blutiger Ver-
geltung zu schrecken suchte; und selbst die große städtische Einigung, die Hansa, die
in denselben Iahren, da der rheinische Städtebund durch das Doppelkönig¬
thum und den Parteigeist im Keime geknickt ward, in Norddeutschland sich befestigte
und nicht nur die Sitze des deutschen Großhandels Hamburg,Lübeck,Bremen
umfaßte, fondern sich auch über die Wendenstädte Rostock, Schwerin,
Stettin, Stralsund, Wismar, über Dan zig, Wisby, Riga und viele
andere Handelsstädte bis nach dem norwegischen Bergen ausdehnte, konnte in
dieser eisernen Zeit ihren Gliedern nur eine dürftige Nothwehr bieten. Und doch
bildeten die Städte den einzigen Lichtblick in diesen dunkeln Zeiten; sie vertraten den
Gedanken an eine Fortentwicklung der nationalen Gesellschaft und hielten den
Glauben an die Zusammengehörigkeit fest. Sehr hart war dagegen das Loos des
unfreien Bauernstandes. In den ritterlichen Fehden wurden oft die
Dörfer und Höfe niedergebrannt und die Ernte verwüstet; die Jagden wie das
Wild waren den Saaten verderblich, die persönlichen Leistungen und Abgaben
waren endlos; ohne Recht und Schutz der Gesetze war der unfreie Mann den
härtesten und entehrendsten Strafen ausgesetzt.
V) 2. Entstehung der Habsburger Macht und der Schweizer
Eidgenossenschaft.
§. 251. Während des Zwischenreichs hatten sich viele Fürsten und Bi-
schöfe landesherrliche Rechte, die früher bei „Kaiser und Reich" gestanden, und
mancherlei Reichsgut angeeignet. Um nun das Erworbene nicht wieder ein-