402 Neueste Geschichte. §. 558. 559.
neten den Anfang des neuen, vom Volke geschaffenen Bürgerkönigthums.
Karl X. starb im Jahre 1836 zu Görz in oer Verbannung.
§. 558. Die Julirevolution brachte die heilige Allianz, die schon durch
Alexanders Tod eine Erschütterung erfahren hatte, vollends zu Fall und rief
in ganz Europa Bewegungen hervor, die eine wesentliche Umgestaltung der
Dinge zur Folge hatten. Zwar nahm die Negierung des französischen „Bürger-
fönigs" den übrigen Staaten gegenüber bald eine friedfertige Haltung an,
und die zu Macht gelangten Liberalen in Paris gaben dem Weg der Ver-
Mittelung und Versöhnung den Vorzug vor dem des Kampfes und suchten
durch Aufstellung des Grundsatzes „der rechten Mitte" alle Gemäßigten
und Unentschiedenen für Erhaltung des Bestehenden zu gewinnen; allein im
ersten Sturme war die Bewegung mächtig genug, um dem _ künstlichen Bau
des Wiener Congresses harte Stöße zu versetzen. In Belgien, Deutsch-
land, Polen, Italien u. a. O. brachen Aufstände aus, die erst nach
einein zweijährigen Kampfe unterdrückt oder ausgeglichen werden konnten;
und wenn auch der Einfluß der absoluten Mächte des Ostens und Nordens,
Rußland, Oesterreich und Preußen, stark genug war, in den meisten
Staaten den alten Zustand zu erhalten oder mrückzuführen, die freisinnigen
Ideen erlangten von dem an eine größere Beoeutung und die öffentliche
Meinung wucks zu einer Macht heran, die allen Maßregeln des „Po-
lizeistaats" und der „Büreaukratie" Trotz bot. Im Westen Europa's be-
hielt durch den Einfluß Englands und Frankreichs das eonstitutio-
nelle Staatswesen und die damit verbundene bürgerliche Freiheit die
Oberhand.
§. 559. Die Revolution in Belgien war die nächste Folge der Pariser
Julitage. Ohne Rücksicht auf Religion, Sprache und nationale Interessen
hatte der Wiener Congreß die flandrischen und brabanüschen Provinzen mit
den holländischen Generalstaaten zu einem Königreich der Niederlande
vereinigt. Die Holländer betrachteten sich als das herrschende Volk; sie zwangen
die Belgier nicht nur zur Theilnahme an der großen Nationalschuld und
der hohen Steuerlast, sondern sie suchten ihnen auch ihre Sprache und Ge-
setze aufzudrängen und stellten den Unterricht des katholischen Volks unter
die Aufsicht protestantischer Staatsbehörden. Und als sich die Presse etnett
feindseligen Ton gegen die Regierung erlaubte, wurde mit Geldbußen, Haft
und Verbannung gegen die Zeitungsschreiber eingeschritten. Da schloß die
französisch-lrberalePartei, oie auf ein freies Staatsleben hinstrebte
und mit den Häuptern der Pariser Opposition in Verbindung stand, mit der
katholisch-ultramontanen Partei, welche Freiheit des Unter-
richts verlangte, ein Bündniß gegen die holländische Regierung, das der
König in einer Thronrede als „infam" bezeichnete. Die dadurch herbeigeführte
Mißstimmung hatte bereits den höchsten Grad erreicht, als die Nachricht von
den Julivorgängen in Brüssel eintraf und das ganze Land in Flammen setzte.
Am Abend des 25. August, nach Aufführung der Oper: „die Stumme von
Portici", zerstörten Votkshaufen die Druckerei einer im holländischen Sinne
geführten Zeitung, den Palast des Justizministers, die Wohnung des Polizei
Directors u. A. Um den weitern Verwüstungen des Pöbels Einhalt zu thun,
bildete sich eineBürgergarde und einBürgerausschuk, bis die radicate
und die ultramontane Partei sich über einen Nationalcongreß unter Pot¬
ters Leitung vereinigten. Das Beispiel der Hauptstadt fand Nachahmung, |o
daß in Kurzem in ganz Belgien die brabanter Fahne wehte. Ein Angriff
der Holländer auf Brüssel wurde zurückgeworfen, und die belgischen JnM-
genten rückten jetzt sogar auf Antwerpen los, um auch diese Stadt dem