Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

In den ersten Zeiten pflegte die Kirche für gröbere Übertretungen 
der göttlichen Gebote strenge Bußwerke anzuordnen, um die zeitlichen 
Sündenstrafen abzubüßen. Zur Sühne des gegebenen Aergernisses wur¬ 
den für öffentliche Sünden auch öffentliche Bußwerke auferlegt. So 
wurde den Büßern die Theilnahme an dem öffentlichen Gottesdienste 
versagt; nur am Eingänge der Kirche durften sie stehen und in demüthi- 
gem Bußkleide die Hereingehenden um ihre Fürbitte begehren. Eine 
solche Bußübung währte oft mehre Jahre hindurch, wurde aber auch zu¬ 
weilen durch den Ablaß der Bischöfe gemildert. In Rücksicht auf den 
besonderen Eifer der Büßer pflegten diese die durch die Kirchengesetze 
vorgeschriebenen Bußübungen entweder abzukürzen oder in gute Werke 
und fromme Uebungen zu verwandeln. So bot der Papst Urban II. auf 
der Versammlung zu Clermont allen Kreuzfahrern einen vollkommenen 
Ablaß an, d. h. er verordnete, daß Alle, die ihre Sünden mit wahrhaft 
reuigem Gemüthe beichteten und an den Kreuzzügen Theil nähmen, 
wegen der Gefahren und Mühseligkeiten, denen sie sich im Dienste der 
Kirche aussetzten, von allen kirchlichen Strafen befreit sein sollten, welchen 
sie sich sonst hätten unterwerfen müssen. Zweihundert Jahre später ward 
auf der Kirchenversammlung zu Lyon dieser Ablaß auch aus jene ausge¬ 
dehnt, die, unfähig, dem Kreuzzuge in Person beizuwohnen, denselben 
durch freiwillige Gaben an Geld unterstützten. Seit jener Zeit fingen 
die Ablässe an, häufig zu werden. So oft man, sei es zur Erbauung 
von Kirchen und Schulen, oder zum Türkenkriege, oder zu jedem anderen 
mit der Religion nur in einiger Beziehung stehenden Unternehmen Geld 
bedurfte, bot man dem Volke einen Ablaß an. Mit der Einsammlung 
der Beiträge wurden von den Bischöfen eigene Prediger, gewöhnlich aus 
dem einen oder dem andern Orden, beauftragt. — Hierüber war es 
bereits zu manchen Klagen und Beschwerden gekommen. Hin und wie¬ 
der tauchte sogar der Zweifel auf, ob auch wohl immer das eingesam¬ 
melte Geld zu dem angekündigten Zwecke verwendet werde. Besonders 
nachtheilig aber mußte es wirken, wenn Ablaßprediger selbst bei ihrem 
ernsten Bußgeschäste sich Mißbräuche zu Schulden kommen ließen; wenn 
sie in der Anpreisung des Ablasses das richtige Maß überschritten und 
selbstsüchtige Zwecke verfolgten. Es gab damals nicht wenige Leute, die 
eine ganz irrige Ansicht vom Ablasse hatten. Mancher gemeine Mann 
hielt nach seiner sinnlicheren, roheren Denkungsart schon den eingekauf¬ 
ten Ablaßzettel für einen Nachlaß der Sündenschuld, ohne an das von 
der Kirche ausdrücklich dabei vorgeschriebene Erforderniß der Buße und
	        
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