Full text: (Für das 7. und 8. Schuljahr) (Abteilung 2, [Schülerband])

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tritte der blutigsten Art, einstürzende Gebäude und prasselnde Flammen 
stellten sich bei jedem Schritt den entsetzten Sinnen dar. Um 9 Uhr 
morgens, während noch das Rathaus loderte, entzündete eine Bombe 
das Gebäude des Stadthofes. Die Versuche zum Löschen blieben dem 
Feuer nicht gewachsen, man mußte brennen lassen, was brennen wollte. 
So dauerte es fort bis zum Nachmittag. Da plötzlich, um drei Uhr, 
schwieg das französische Geschütz auf allen Batterieen; deun eben traf die 
Nachricht vom abgeschlossenen Waffenstillstande ein. „Auf das Krachen 
des Donners,“ erzählt Nettelbeck, wie am Tage des Weltgerichtes, folgte 
eine lange, öde Stille. Jeder Atem bei uns stockte; niemand begriff 
diesen schnellen Wechsel, dies schauerliche Erstarren so gewaltiger los 
gelassener Kräfte.“ Die fröhliche Kunde wurde den Bürgern durch die 
ganze Stadt unter Trommelschlag bekannt gemacht. Der vereinten, nun 
durch die Freude gehobenen Anstrengung gelang es, in kurzer Zeit die 
Flammen zu bezwingen. Sämtliche Vorstädte waren in Schullhaufen 
verwandelt, und an zweitausend Menschen irrten obdachlod umher. 
In dieser schweren Zeit zeichnete sich unter den Bürgern von Kolberg 
der alte Joachim Nettelbeck rühmlichst aus. Gneisenau, der Kommandant 
der Festung Kolberg, entwirft von ihm folgendes Bild: „Es ist wohl— 
thuend, in einer Zeit, wo oft Kleinmut die Herzen beschleicht, das Bild 
eines Mannes aufstellen zu können, der an deutschem Sinne und an 
Mut Millionen seiner Zeitgenossen voransteht. Joachim Nettelbeck ist 
70 Jahre alt und hat schon in der denkwürdigen Belagerung des sieben— 
jährigen Krieges seine Vaterstadt Kolberg vorteidigt. In der jetzigen 
Belagerung derselben thut er dasselbe als Greis, was er damals als 
Jüngling that. Er ist allgegenwärtig. Zündet der Feind durch seine 
Haubitzgranaten ein Haus an, so steht er mit der Spite des Schlauches 
hoch oben auf der gefährlichsten Stelle. Er geht nicht von dannen, bis 
das Feuer danieder ist. Greift der Feind das Außenwerk an oder die 
Verschanzungen, so sitzt er zu Pferde, reitet kühn wie ein Jüngling, 
exmuntert im heftigsten Feuer die Truppen, holt Munition herbei und 
ist ebenso schnell bei dem Festungskommandanten, um ihm Bericht über 
das Gefecht abzustatten. Ist das Gefecht vorüber, so schafft er Lebens 
mittel für die ermatteten Truppen hinaus. Zeigt sich ein Schiff, worauf 
man Zufuhr von Kriegs- oder Mundbedürfnissen erwartet, so ist er der 
erste an Bord und der erste zurück, um Kunde davon zu bringen. Auf 
den Böden und in den Häusern der Bürger hält er Revision, um alles 
leicht Entzündliche dort wegzuschaffen. Der Kommandant hat ihm die 
Obhut über die Überschwemmung gegeben, und wehe dem, der aus Eigen⸗ 
nutz oder üblem Willen das Wasser um eine Linie vermindern wollte. 
Wo an den vielfachen Schleusen etwas Wasser durchsickert, wird er es 
gewahr. Keine Maus dürfte die Dämme durchlöchern und er würde es 
sogleich wittern. Überall zeigt er Einsicht, Mut und Patriotismus. Dies 
alles thut er umsonst, und Nettelbeck ist nicht reich. Er ist ein Wunder, 
und man muß erstaunen, woher er bei seiner unternehmenden Thätigkell 
und bei seinem hohen Alter die Kräfte nimmt. Nur eins könnte ihn 
daniederwerfen: wenn der Kommandant die Festung übergäbe; dies Herze— 
leid würde er nicht überleben. Aber, mein guter Alter, dies Herzeleid 
thut dir der Kommandant nicht an. Er wird dir die Freude machen, 
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