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der Schrecken, hinter ihr der Tod. Vergebens bot der berühmte
Arzt Hippokrätes, den man in dieser Zeit des allgemeinen
Elendes schleunigst von der Insel Kos herübergerufen hatte,
alle Mittel seiner Kunst auf. So wie in der neuesten Zeit beim
Wüthen der Cholera, die an vielen Orten nur wenige Tage
brauchte, um Taufende von Menschen unter den schrecklichsten
Krämpfen zu Leichen zu machen, der ungebildete Volkshaufen
sich einbildete, die Brunnen feien vergiftet; so glaubte man auch
damals, als man kein Mittel mehr fand, dem Elende zu steuern,
die Brunnen seien von den Peloponnesern vergiftet. Anfangs
wendete man sich flehend an die Götter, und als keine Hülfe
erschien, traten an die Stelle der frommen Ergebung in das
Schicksal rohe Ausbrüche der Verzweiflung. Gesetze wurden nicht
mehr geachtet. Jeder sah den Tod vor Augen und wollte die
kurze Lebenspanne nach Herzenslust genießen. Alles Göttliche
und Menschliche wurde mit Füßen getreten. An dieser Pest
ftarb auch Perikles, im Jahre 429. Mit ihm wurde alle Herr-
lichkeit Athens zu Grabe getragen. Es riß jetzt eine zügellose
Pöbelherrschaft ein. Große Schreier vermochten am meisten und
wurden Volksführer (griech. Demagogen). Ein solcher Mann
war auch der Gerber Kleon. Dieser trat an Perikles Stelle.
Er verleitete das Volk zu den wildesten Maßregeln gegen ab-
gefallene Städte und Inseln. Ueberdies wurde der Krieg fort
und fort geführt, ohne daß eine Partei ein bedeutendes Ueber-
gewicht über die andere erhalten hätte. Man griff bald hier,
bald dort an, eroberte, plünderte und zerstörte einzelne Städte,
schlug sich auf der See, wo die Athener gewöhnlich Sieger
blieben. Allein alles dieses hatte keinen anderen Erfolg, als
daß der gegenseitige Haß nur tiefere Wurzel faßte.
Friede des Nicias (421). — Endlich, im Jahre 422,
kam es bei Amphipölis zu einer Hauptschlacht. Kleon wurde
besiegt und auf der Flucht getödtet. Aber auch die Spartaner
erlitten einen großen Verlust. Ihr Feldherr Brasidas starb
an den Wunden, die er hier empfangen. Der Ausgang dieser
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