4 I. Die Zeit der Wanderungen.
Wäldern, auf schroffen Bergeshöhen oder unter mächtigen Bäumen,
an Quellen und Seen. Nur selten und spät errichteten sie ihnen
Tempel mit einem schmucklosen Götterbilde (meist auf den Thingstätten
kurz vor Einführung des Christentums). Ihr oberster Gott war
Wodan, der Herr und Lenker der Welt. Die Sonne ist sein Auge,
der blaue Himmel ist sein blauer Mantel, die Wolkenballen sind sein
tief beschattender Hut. Wer in rühmlichem Kampfe den Tod findet,
wird von den Walküren, das sind die Seelen von Frauen, die im
Kampfe gefallen sind, zu ihm nach Walhalla getragen, wo er sein
Leben in der Weise des irdischen, nur mit gesteigerten Freuden, fort-
fetzt. Wer aber an Krankheit auf dem Lager unrühmlich stirbt (Stroh-
tod), der kommt in Hels trauriges Reich (Wodans Tag Wodanstag,
engl. Wednesday = Mittwoch). Sein Sohn ist Donar, der Gott
des Donners. Der führt als Waffe den gewaltigen Hammer. Mit
diesem bezwingt er im Frühlinge die Frostriesen und führt die frucht-
bare Zeit des Jahres herbei; wenn er ihm aber im Herbst geraubt
wird, wenn er in die Gewalt der Riesen kommt, so tritt der Frost
wieder seine Herrschaft an, und das Leben der Natur erstirbt. Donar
bringt im Sommer auch die befruchtenden Gewitter, und so ist er
vornehmlich dem Bauersmann lieb (sein Tag der Donnerstag). Ein
anderer Sohn Wodans ist Zin, der Gott des Krieges (Dienstag).
Wodans Gemahlin ist Frigg, die Beschützerin der Ehe und häuslichen
Tugenden, Freya ist Göttin des Frühlings, Nerthus, namentlich
bei den Völkern der Ostseeküste verehrt, spendet die Fruchtbarkeit
der Erde.
Neben den hohen Göttern gibt es auch niedere. In den Bergen
leben die Zwerge, auf der Waldwiese spielen die Elfen, in
Teichen, Seen und Flüssen Hausen die Nixen, im Hanse die Wichte,
jeder Baum, jeder Wald, jeder Berg hat seine Gottheit, die dem
Menschen huldreich oder übelgesinnt sein kann.
Die Götter sind nicht allmächtig; über ihnen waltet das Schicksal,
dem auch sie sich fügen müssen. Dieses befragt man durch das Blut
der Opfertiere, das Wiehern heiliger Rosse, das Werfen der Zeichen-
stäbe (Runen) usw. Sie werden auch nicht ewig sein. Einst wird
ihre Macht nebst dem Menschengeschlecht dahingehen, und eine neue
Menschen- und Götterwelt wird entstehen, in der Gerechtigkeit und
Friede herrscht.
2. Die ersten Kämpfe der Römer mit den Germanen.
Das Volk der Germanen war dazu berufen, die römische Welt-
macht nach jahrhundertelangem Andringen in Trümmer zu zerschlagen
und der Weltgeschichte einen neuen Schauplatz in der Mitte des Erd-
teils und an den Gestaden des Weltmeeres zu geben.