Full text: Deutsche Geschichte bis zum Ausgange des Mittelalters (Bd. 1)

36 II. Das Frankenreich. 
9. Die Pflege des nationalen Besitzes. Karl war fest über- 
zeugt, daß das Christentum sowohl wie die römische Bildung nötig 
seien, um seine germanischen Untertanen auf eine höhere Stufe der 
Kultur zu heben. Aber er besaß doch auch ein tiefes Verständnis für 
den Wert des aus der Vorzeit überkommenen nationalen Gutes, der 
deutschen Sprache und der deutschen Heldenlieder. Freilich war die 
Geschäftssprache im Reiche das Lateinische, da das Deutsche noch zu 
ungelenk für einen mannigfaltigen Ausdruck war, und auch die zahl- 
reichen Regierungsverordnungen, die uns von Karl erhalten sind, die 
Kapitularien, sind lateinisch geschrieben. Aber Karl beschäftigte 
sich schon mit einer deutschen Grammatik, er verdeutschte die lateinischen 
Monatsnamen*) und ließ die alten Heldenlieder unseres Volkes sammeln. 
10. Karls änfzere Erscheinung. Deutschen Sinn zeigte Karl 
auch in seiner Einfachheit und in seinem Familienleben. Für gewöhn- 
lich kleidete er sich in die einfache fränkische Tracht und trug Ge- 
wänder, die seine Töchter selbst gewebt hatten. Bei feierlichen Ge- 
legenheiten aber wußte er die dem Herrscher zukommende Pracht zu 
zeigen: edelsteingeschmückte Schuhe trug er an den Füßen, die Schenkel 
waren nach fränkischer Weise mit kostbaren Binden umwickelt, von 
den Schultern wallte über den Rock und das kostbare Schwertgehenk 
der pelzbesetzte Purpurmantel, das lockige Haupt schmückte ein Gold- 
reif, reich besetzt mit Edelsteinen. Er selbst erschien als ein Mann 
von ehrfurchtgebietender Größe, mit kräftig hervortretender Nase und 
großen, blitzenden, blauen Augen. 
Gern erholte sich Karl von allen Arbeiten des Tages in seiner 
Familie, in der es schlicht und einfach zuging. Die Söhne lernten 
reiten und den Gebrauch der Waffen, die Töchter saßen am Spinn- 
rocken oder webten; beide Teile aber genossen den Unterricht in den 
Wissenschaften, die das Römertum überliefert hatte. 
11. Tie letzten Jahre. Die letzten Jahre seines Lebens ver- 
brachte Karl fast dauernd in seiner Lieblingsstadt Aachen, wo die 
heilsamen Bäder ihm die Gebrechen des anrückenden Alters erträglich 
machten. Einen großen Schmerz bereitete es ihm, daß alle seine Söhne 
mit Ausnahme eines vor ihm von dem Tode dahingerafft wurden 
und zwar gerade diejenigen, auf die er die größten Hoffnungen gesetzt 
hatte. Am 28. Januar 814 ist er dann selbst im Alter von 70 Jahren 
gestorben; er fand sein Grab in der Kapelle des Aachener Domes, die 
er selbst gebaut hatte. 
*) wintarmanoth, hornung, lenzinmanoth, ostarmanoth, winuemanoth, 
brachmanoth, bewimanoth (Heumonat), aranmanoth (Erntemonat), widemanoth 
(Jätemonat), widumemanoth (Weinmonat), herbistmanoth, heilagmanoth (Heilig¬ 
monat).
	        
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