188 Sechster Zeitraum. Vom Beginn d. Reformation bis zum Westfälischen Frieden.
ständig in Regensburg tagte, wurde, da der Kaiser und die Fürsten nicht
mehr persönlich erschienen, zu einem Gesandtenkongreß. Er verlor nach und nach
seinen deutschen Charakter, indem mehrere Fürstenhäuser fremde Kronen an-
nahmen (z. B. Sachsen die polnische, Hannover die englische usw.), erregte
durch seinen schwerfälligen Geschäftsgang den Spott der Deutschen und des Aus-
landes und machte sich durch kleinliche Rangstreitigkeiten lächerlich. Die Reichs-
standschast (Recht der Teilnahme am Reichstag) hatten 266 Territorien.
Das deutsche Volk hatte das Gefühl für feine nationale Würde und
Ehre fast gänzlich eingebüßt. Wie deutsche Fürsten und Staatsmänner schon
seit langer Zeit sich nicht mehr schämten, Geld und andere Geschenke vom Aus-
lande anzunehmen, so verloren jetzt auch die Untertanen den alten Stolz, Deutsche
zu sein und als solche aufzutreten. Eine maßlose Ausländerei, deren An-
sänge man schon in dem vorigen Zeitraum wahrnehmen kann, machte sich in
Sprache, Sitte und Mode geltend. Unsere Sprache erhielt durch Fremdwörter
eine ganz buntscheckige Gestalt und verfiel allmählich so sehr der Verachtung,
daß die höheren Gesellschaftskreise sich fast ausnahmslos des Französischen bedienten
oder wenigstens die deutsche Rede mit möglichst vielen französischen Ausdrücken
versetzten. Diesem Beispiele folgten bald die Niedern Schichten der Bevölkerung.
Französische Trachten, Spiele und Tänze wurden allgemein beliebt. Nur
das, was „weit her" kam, galt für vornehm und sein. Kein Wunder, daß die
Deutschen, welche sich selbst nicht mehr achteten, auch im Auslände verachtet wurden.
2. Auf dem religiös-sittlichen Gebiete. Die Bestimmungen des West-
Mischen Friedens über die Religion sicherten den Bestand des deutschen Prote-
stantismus außerhalb der österreichischen Länder. Und so blieb der Norden
Deutschlands vorwiegend prote st antisch, der Süden vor wiegend
katholisch. Der Friede zwischen den Bekenntnissen wurde zwar noch öfter
gestört; doch drang allmählich die Uberzeugung durch, daß gegenseitige Duldung
Christen- und Bürgerpflicht ist.
Das religiös-sittliche Leben lag schwer danieder. Unglaube und
Aberglaube herrschten in allen Kreisen des Volkes; der Hexenwahn, den zuerst
der rheinische Arzt Joh. Weyer (f 1588) und bann der rheinische Jesuit
Friedr. v. Spee (f 1635) bekämpft hatten, forberte noch mehr Opfer als früher.
Zahllose Kirchen waren zerstört, unb in manchen Lanbstrichen hatte bie georbnete
Seelsorge aufgehört. Roheit unb Zügellosigkeit machten sich überall be¬
merkbar, befonbers bei ber Jugenb, bie vielfach ohne jeben Unterricht heranwuchs.
3. Auf wirtschaftlichem Gebiete. Am härtesten war bie Laubwirt-
schast getroffen werben. Die FeXber lagen verwüstet, bie Gehöfte zerstört, bas
Vieh war als Beute weggeschleppt. Dazu fehlte es an Arbeitskräften,
um ben Acker zu bestellen. War boch in einzelnen Gegenben ber größte Teil
ber Bevölkerung burch bas Schwert ober burch Hunger unb Seuchen bahin-
gerafft worben!
Hanbel unb Gewerbe waren fast auf bie Stufe herabgesunken, bie sie
bis gegen bas Enbe bes 12. Jahrhnnberts eingenommen hatten. Wie man
auslänbische Waren meist burch frembe Vermittlung erhielt, fo mußte man
auch bie feineren Erzeugnisse des Handwerks (Luxusgegenstände) aus dem Aus-
lande beziehen, weil es an geschickten Arbeitern mangelte. Von den deutschen
Seestädten hielt sich nur Hamburg auf ber Höhe, inbem es vor allem bie