Vierter Abschnitt. Wilhelm I.
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Per deutsch-französische Krieg von 1870/71 und die Wieder- 1870
Herstellung des Deutschen Weiches. ^
I. Die Vorgänge bis zum Ltginn der Feindseligkeiten.
a) Ursachen des Krieges (die Eifersucht Frankreichs und die Miß-
erfolge Napoleons III.). Durch den Krimkrieg (1854—1856), den
Napoleon III. im Bunde mit England gegen Rußland geführt hatte, und
durch den italienischen Krieg (S. 327) war das Selbstgefühl der
Franzosen bedeutend gesteigert worden. Sie nannten sich gern „die
große Nation" und ihr Heer „das erste der Welt". Um so unangenehmer
empfanden sie die Erfolge des preußischen Heeres, von denen sie eine Ver-
dunklung ihres eigenen Kriegsruhmes und die Erschütterung des fran-
zösischen Übergewichts in Europa befürchteten. Sie forderten deshalb von
Napoleon „Rache für Sadowa" und Widerstand gegen die drohende
Einigung Deutschlands.
Der Kaiser hatte sich den deutschen Plänen der preußischen Regierung
freundlich gegenübergestellt und wiederholt um ein Bündnis mit Preußen
bemüht, da er hoffte, hierdurch eine Grenzerweiterung Frankreichs
am linken Rheinufer zu gewinnen. Auch nach dem Kriege des
Jahres 1866 behielt er dieses Ziel im Auge. Zuletzt ließ er das An-
erbieten machen, er wolle sich der deutschen Einheit nicht widersetzen, wenn
Preußen ihn bei der Erwerbung Luxemburgs und Belgiens
unterstütze (Frühling 1867). Aber die preußische Regierung ließ sich auf
nichts ein. Dieser Mißerfolg erschütterte das Ansehen Napoleons beim
französischen Volke gewaltig. Dazu kam noch der unglückliche Feldzug
gegen Mexiko (1864—1867), wo Napoleon ein „lateinisches Kaiser-
tum" hatte aufrichten wollen (vgl. S. 107).
Das beste Mittel, seinen wankenden Thron zu befestigen, sah der
Kaiser in einem Kriege gegen Preußen, den das Volk wünschte.
b) Ter Vorwand zum Kriege (die spanische Königswahl und die
Verhandlungen im Bade Ems). Nachdem die Spanier ihre Königin
Jsabella vertrieben hatten (September 1868), bot die spanische Regierung
dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern (S. 195) die Krone
an. Dieser erklärte sich mit Zustimmung des Königs Wilhelm, der als
Familienhaupt zu Rate gezogen wurde, zu ihrer Annahme bereit (Ende
Juni 1870). Obwohl es sich nun um eine rein persönliche Angelegenheit
des Prinzen handelte, so drohte dennoch die französische Regierung,
sie werde nicht dulden, „daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf
den Thron Karls V. setze und dadurch das Gleichgewicht der europäischen
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