Cyrus. 
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setzte er hinzu, „damit mein Enkel einen Gespielen habe; du selbst 
komme heute Abend zum Gastmahle zu mir." 
Harpagos war voll Freuden, daß der König so gnädig war; 
er wars sich ihm zu Füßen und ging vergnügt nach Hanse. Am 
Abend fand er sich zu gehöriger Zeit ein und setzte sich fröhlich zur 
Tafel. Als der Braten herumgereicht wurde, fetzte man dem 
Harpagos einen andern vor als den übrigen Gästen. Er ließ es 
sich trefflich schmecken. Endlich fragte ihn Astyages: „Weißt du 
wohl, von was für Braten du gegessen hast?" — „Nein, wahrlich," 
antwortete er, „ich weiß es nicht!" — „Nun," sprach Astyages 
zu den Bedienten, „so bringt ihm einmal die verdeckte Schüssel da!" 
— Wie bebte der unglückliche Harpagos zusammen, als er den 
Deckel abhob und den Kopf und die Glieder feines Sohnes erblickte! 
„Merkst du nun," rief der unmenschliche Astyages über den Tisch, 
„was für Wildpret das war, welches dir so gut schmeckte? Siehst 
du, so bestrafe ich ungehorsame Diener!" — Harpagos hatte 
Fassung genug, nichts zu erwidern, als: „Alles, was du thust, ist 
vortrefflich!" Dann sammelte er die Ueberreste feines Kindes und 
trug sie nach Hause, um sie zu begraben. 
Astyages ries nun die Magier zu sich und berieth sich mit 
ihnen. Sie meinten, da der Knabe nun schon König gewesen sei, 
so sei das Orakel erfüllt, und Astyages brauche sich nicht mehr 
vor ihm zu fürchten. „So scheint es mir auch," sagte der König, 
und war nun guten Muthes. Den Cyrus aber — so wurde der 
Findling nun genannt — schickte er nach Persis zu seinem Vater 
und zu seiner Mutter Mandane, die voll Freude waren über den 
ihnen zum zweiten Male geschenkten Sohn. 
Cyrus wuchs heran und entfaltete feine herrlichen Talente 
schnell. Nun, glaubte Harpagos, sei der Zeitpunkt gekommen, sich 
am Könige zu rächen. Er brachte zuerst alle medische Große auf 
seine Seite, indem er ihnen die Tyrannei des Astyages mit leb¬ 
haften Farben schilderte; dann schrieb er an den jungen Cyrus, 
nähete den Brief in den Bauch eines getödteten Hafen ein und 
schickte diesen an Cyrus. Der Bote mußte ausdrücklich bestellen, 
daß kein Anderer als Cyrus selbst den Hasen auffchneiden möchte. 
Der Prinz that es und fand den Brief. Da er nun den Harpa¬ 
gos aufrichtig liebte, weil er ihm eigentlich fein Leben verdankte, 
so befolgte er die ihm brieflich gegebenen Vorschriften. Harpagos 
munterte ihn nämlich auf, sich gegen den grausamen Astyages, der 
ihm selbst das Leben habe rauben wollen, zu empören. Alles fei
	        
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