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Seme Schüler haben uns eine Menge derartiger Gespräche von ihm
aufbewahrt. Sie hingen mit ganzer Seele an ihm; sie verließen sogar ihre
Lustbarkeiten, um bei ihrem teuern Lehrer zu sein. Antisthenes ging täglich
eine halbe Meile weit nach der Stadt, um den Sokrates zu hören. Ja, ein
anderer wißbegieriger Jüngling, Eukleides, kam sehr oft von Megara 4 Meilen
weit nach Athen, um nur einen Tag bei ihm zu sein. Und als die Athener
aus Haß gegen die Megarenser diesen unter Todesstrafe verboten-in ihre
Stadt zu kommen, wagte Eukleides es dennoch sich abends in Weiber-
kleidung durchs Thor zu schleichen, um der Unterweisung des Sokrates
nicht zu entbehren.
Der junge Aischines wünschte sehr ein Schüler des Sokrates zu
werden. Er schenete sich aber ihm zu nahen, weil er sehr arm war. So-
krates, der Kenntnis von seinem Wunsche erhielt, fragte ihn: „Warum
scheuest du dich vor mir?" — „Weil ich nichts habe, was ich dir geben
könnte." — „Ei," erwiderte Sokrates, „schätzest du dich selbst so gering?
Gibst du mir nichts, wenn du dich selbst mir gibst?" Und der Jüngling
wurde ein eifriger Schüler des Sokrates.
Eines Tages begegnete Sokrates in einem engen Durchgange dem
Xenophon. Dieser war ein schöner, vielversprechender Jüngling, und So-
krates wünschte ihn zum Schüler zu haben. Er hielt ihm seinen Stock vor,
und der Jüngling blieb stehen. „Sage mir doch," hob Sokrates an, „wo
man Mehl kauft?" — „Auf dem Markte." — „Und Ol?" — „Eben da."
— „Aber wo geht man hin, um gut und weise zu werden?" — Der
Jüngling stutzte. „Folge mir", fuhr Sokrates fort, „ich will es dir zeigen."
Und beide wurden unzertrennliche Freunde.
So hatte Sokrates täglich einen Kreis wißbegieriger Jünglinge um
sich versammelt, aus denen später berühmte Männer wurden. Der Ruhm
des Sokrates selbst verbreitete sich so weit, daß die Priester zu Delphi
ihn für den weisesten der Menschen erklärten.
Es war nicht zu verwundern, wenn Sokrates sich durch seine ausge¬
zeichnete Weisheit und Tugend bei dem großen Hausen seiner verdorbenen
Mitbürger Haß und Neid zuzog. Seine größten Feinde waren die So-
phisten, eine Art Weltweiser, welche die traurige Fertigkeit besaßen ihrer
Scheinweisheit durch die blendende Kunst der Rede Eingang zu verschaffen.
Sie machten sich anheischig entgegenstehende Meinungen ohne Rücksicht auf
Wahrheit oder Unwahrheit nach Willkür zu verteidigen; sie spotteten öffent-
lich der Religion und Tugend. Sokrates deckte ihr lügenhaftes Wesen mit
schonungslosem Tadel auf und beschämte sie durch seinen tugendhaften, un-
eigennützigen Wandel. Dafür verleumdeten sie ihn und suchten ihn in der
Stadt lächerlich zu machen. Und als ihnen alles dieses nichts half, verklagten
sie ihn öffentlich. Sie beschuldigten ihn, er glaube an die Götter seiner Vater-
stadt nicht, auch verderbe er durch seine Lehre die Jugend, und sie trugen