Full text: Kleine Lebensbilder berühmter Männer für den geschichtlichen Unterricht

Unterdessen neigte sich die Sonne zum Untergange. Und der Gerichts- 
diener trat herein, den vollen Giftbecher in der Hand. „Sage mir doch, 
wie habe ich mich dabei zu Verhalten?" fragte Sokrates den Diener. „Dn 
mußt," erwiderte dieser, „nach dem Trinken auf- und abgehen, bis dich 
Müdigkeit überfällt; dann legst du dich nieder." Und mit ruhiger Miene 
nahm er den Becher, betete zu den Göttern, setzte ihn an den Mund und 
trank ihn aus. Da fingen seine Freunde an laut zu weinen. „SM doch," 
sagte Sokrates, „darum habe ich ja diesen Morgen die Weiber von mir 
gelassen." Jetzt ging er auf und ab; dann legte er sich gelassen nieder; 
das Gift fing an zu wirken; seine Füße wurden schon kalt; in trauriger 
Stille standen seine Schüler um ihn herum. Plötzlich schlug er die Augen 
auf. „Freunde," sprach er mit sterbender Stimme, „ich bin dem Asklepios 
einen Hahn schuldig, opfert ihn doch ja." — Die Griechen pflegten nach 
überstandener Krankheit dem genannten Gotte einen Hahn zu opfern und 
Sokrates wollte andeuten, daß er dem Gotte für die Befreiung vom Leben, 
das er als eine Krankheit ansah, jenes Opfer schulde. — Nach jenen Worten 
neigte sich einer zu ihm und fragte, ob er ihm sonst noch etwas aufzu- 
tragen habe. Er erhielt keine Antwort mehr. 
So starb der unschuldige Sokrates im Jahre 399 vor Chr. Erst nach 
seinem Tode sahen die Athener ihr großes Unrecht ein. Die ganze Stadt 
war in Trauer, als würde in jedem Hause ein Toter beweint. Man 
errichtete ihm eine prächtige Bildsäule und verehrte ihn fast wie einen 
Gott. Seine Schüler breiteten seine trefflichen Lehren unter die Menschen aus. 
§ 27. Epameinondas und Pelopidas. 
Als die Athener im poloponnesischen Kriege den Spartanern unter- 
lagen, war die Macht und Blüte Athens für immer dahin. Die Spartaner 
waren jetzt die ersten in Griechenland; kein anderer griechischer Staat war 
ihnen gewachsen. War ihr Übermut au sich schon groß genug, so schien er 
keine Grenzen mehr zu kennen, seitdem es ihnen gelungen war durch den 
Antalkidas den nach diesem genannten Frieden zustande zu bringen, denn 
infolge dessen hatten sie eine Art von Oberaufsicht über die andern grie¬ 
chischen Staaten erhalten. Am stärksten zeigte sich dieser Übermut in der 
widerrechtlichen gewaltthätigen Besetzung der Kadmeia, der Burg der Stadt 
Theben. 
Im Jahre 383 zog nämlich der spartanische Heerführer Phoibidas 
mit einer Abteilung Spartaner gegen die Stadt Olynthos, im Norden an 
der makedonischen Grenze gelegen. Sein Weg führte ihn durch Boiotieu, 
und er lagerte in der Nähe von Theben. Hier bekämpften sich damals 
wie fast in allen anderen griechischen Staaten zwei Parteien, die Partei 
i>er Vornehmen und die Volkspartei. Letztere hatte damals in Theben die
	        
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