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Alte Geschichte. 1. Periode. Griechen. 
alle zwölf Löcher hindurch. Sprachlos sahen sie sich einander an 
und trauten ihren Augen nicht. Aber in dem Augenblicke warf 
er auch seine Lumpen ab und rief laut durch den Saal: „Dieser 
Wettkampf wäre nun vollbracht! Aber nun gebt Acht: ein andres 
Ziel wähle ich mir, das noch kein Schütze getroffen hat." Und 
sogleich lag ein zweiter Pfeil darauf und flog dem Unverschämtesten 
der Freier durch die Kehle, daß er entseelt mit dem Tische zu 
Boden stürzte. „Ha! ihr Hunde!" schrie er, „ihr dachtet, ich 
würde nie wieder zurückkehren; darum brachtet ihr mir mein Gut 
durch und quälet gar mein Weib mit Heirathsanträgen! Ihr 
habt weder Götter noch Menschen gescheut; darum ist auch nun 
über euch die Stunde des Todes gekommen." 
Alle Freier sprangen auf und sahen sich nach ihren Waffen 
um, aber die waren in Sicherheit gebracht; dagegen bewaffneten 
sich schnell Odysseus und Telemachos, und alle überfiel Schrecken 
und Angst. Einer versuchte es noch, den Helden zu besänftigen, 
und versprach, allen Schaden zu ersetzen. „Nein!" rief Odysseus, 
„und wenn ihr mir auch all eure Güter darbrächtet, so würde ich 
doch nicht eher ruhen, bis ich euch Alle ermordet hätte." Nun 
begann ein harter Kamps; denn der nichtswürdige Melantheus 
hatte sich hinaufgeschlichen und die Abends vorher dort versteckten 
Waffen der Freier geholt; aber dennoch siegte endlich Odysseus. 
Alle Freier wurden getödtet und nur der Sänger und der Herold 
verschont, zuletzt auch Melantheus niedergehauen. Nachdem das 
blutige Werk gethan und der Saal von den Leichen und dem Blute 
gereinigt war, gab sich der treffliche Held auch seinem treuen Weibe 
zu erkennen, und dieses empfing nun nach jahrelangem Kummer 
den wohlverdienten Lohn ihrer treuen Ausdauer. 
So viel vom Odysseus. Ganz anders ging es dem Aga¬ 
memnon. Auch er hatte eine Frau daheim gelassen, die Kly- 
tämnestra, eine Schwester der Helena; aber sie war keine Pene¬ 
lope. Nachdem sie einige Jahre auf Agamemnon gewartet hatte 
und er immer noch nicht kam, dachte sie, er würde nun wohl gar 
nicht wiederkommen, und heirathete einen Andern, den Aegisthos. 
Schon hatte sie den Agamemnon fast ganz vergessen, als er uu- 
vermuthet in Mycene ankam. Wie erschrak die ungetreue Frau! 
Was sollte sie machen? Ihre Schuld zu gestehen wagte sie nicht, 
und den Aegisth aufzuopfern war sie zu schwach. Aber ein Ver¬ 
brechen führt zu mehreren. Sie rathschlagte mit Aegisth, was zu 
machen sei, und da kamen sie endlich überein, den Agamemnon,
	        
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