Übersicht der geschichtlichen Entwicklung Frankreichs bis 1666. 263 
man das letztere übrigens noch eine zeitlang das Reich der Ostfranken 
nannte, so hieß das erstere anfänglich das Reich der Westfranken oder 
der lateinischen (d. h. romanisch redenden) Franken. 
Dieses stund noch bis 987 unter der Familie der Karolinger, welche Karolinger 
sich in der französischen Linie am längsten erhielt und erst 100 Jahre ^ ^ n* 
nach der Absetzung jenes Karl des Dicken erlosch, der zum letztenmal 
Deutschland und Frankreich zusammen (884—887) beherrschte. Übrigens 
zeigte sich gerade in der westfränkischen Linie der Karolinger ein ähnlicher 
Rückgang an geistiger und körperlicher Kraft wie einst im merowingifchen 
Hause, was in Beinamen wie (Ludwig) der Stammler, (Karl) der Ein- 
fältige, (Ludwig) der Faule angedeutet ist. Zudem wurden die schwachen 
karolingischen Könige im Innern durch den übermütigen Trotz ihrer 
großen Vasallen beschränkt, vor denen sie manchmal nur eine einzige Stadt 
(Laon) behaupteten, während ihr Reich von außen besonders durch die 
Normannen angefallen wurde. Einem Teile dieser letzteren, die unter 
ihrem Führer Rolf in das Mündungsland der Seine eingedrungen 
waren, überließ Karl der Einfältige dieses Gebiet bis zur Halbinsel 
Cotantin nebst der Lehenshoheit über die Bretagne 911 J), wogegen Rolf 
mit den Seinen zum Christentum übertrat und als Robert I. (wie er 
in der Taufe genannt wurde) der Vasall Karls und der erste Herzog 
der Normandie wurde. 
Auf das karoliugische Haus folgte das der Cape tinger 987 bis 
1328, benannt nach' dem ersten König Hugo Capet, der als Laienabt 
(von St. Martin de Tours2) nach der „capa" 3) Mönchskapuze, zube¬ 
nannt wurde. Aber auch unter den ersten Capetingern, die früher 
Herzoge von Francien (Jle de France) gewesen, blieb die Macht des 
Königtums durch die großen Vasallen sehr beschränkt und war noch 
mehr bedroht, als einer der letzteren, Wilhelm v. d. Normandie, 1066 
die seinige durch die Eroberung von England bedeutend erweiterte. Bei 
einem Vergleich, den wir über die Entwicklung eines national-deutschen 
und eines national-französischen Reiches anstellen, erkennen wir demnach, 
daß das erstere (wenn wir als seinen Gründer Heinrich I. ansehen) mit 
einem starken Königtum beginnt, das aber später durch die Angriffe des 
Papsttums und der Fürstengewalt im Zusammenwirken mit der That- 
loche, daß jedes der großen deutschen Kaiserhäuser ein Jahrhundert nach 
seiner Thronbesteigung schon erlosch, mehr und mehr sank, während die 
Geschichte Frankreichs mit einem machtlosen Königtum beginnt, das aber 
in dem langlebigen Hause der Capetinger langsam, doch stetig erstarkte 
In demselben Jahr erlosch die deutsche Linie der Karolinger. 
2) Die zwei wichtigsten Klöster im merowingischen und karolingischen Frankreich 
sind das des hochverehrten hl. Martin zu Tours und das des hl. Dionysiuse St. Denis, 
nördl. von Paris. Das Banner des letzteren, die Driflamme, eine Fahne aus feuer¬ 
rotem Tastet an vergoldeter Lanze, war das Hauptbanner der Franzosen im Mittel¬ 
alter ; in der Krypta der Abteikirche zu St. Denis war die Königsgruft. 
3) capa, ursprünglich == Mantel mit Kapuze, so noch in „Tarnkappe", dann 
Kopfbedeckung (daher Kappe und chapeau); der Raum, in welchem die „capella" = 
der kleine Mantel des hl. Martinus in dessen Kirche zu Tours aufbewahrt wurde, 
erhielt darnach zuerst den Namen Kapelle (in unserem Sinn, Nebenraum einer Kirche, 
kleine Kirche).
	        
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