X. Weltliche Lyrik.
Und suche es in meinem Sinn,
Und sehne mich darnach *).
M. Claudia s.
176. Wanderlied.
1. Dem Wandersmann gehört die Welt
In allen ihren Weiten,
Weil er kann über Thal und Feld
So wohlgemuth hinschreiten.
Die Felder sind wol angebaut
Für Andre und von Andern;
Ihm aber, der sie sich beschaut,
Gehören sie jetzt beim Wandern.
2. Durch Wiesen schlängelt sich ein Pfad,
Wie zwischen Blumenbeeten.
Ich weiß nicht, wessen Fuß ihn trat;
Er ist für mich getreten.
Und neben in das Gras hinein 2),
Wo sie wol Futter holen;
Das Grün ist auch beim Wandern mein,
Ein Teppich für meine Sohlen.
3. Der Baum, der hier am Wege steht,
Wem mag er Frucht erstatten 3) ?
Doch weil mein Weg vorübergeht,
So gibt er mir den Schatten.
Sie haben ihn hierher gesetzt
Wol nicht zu meinem Frommen 4);
Ick aber glaube, daß er jetzt
Sei eigens 5) für mich gekommen.
4. Der Bach, der mir entgegen rauscht,
Kommt her mich zu begrüßen,
Durch Reden, die er mit mir tauscht,
Den Gang mir zu versüßen.
Und wenn ich seiner müde bin,
Er wartet auf mein Winken,
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Gleich wendet er sich zur Rechten hin.
Und ich zieh fort zur Linken.
5. Die Lüfte sind mir dienstbar auch,
Die mir im Rücken wehen,
Sie wollen doch mit ihrem Hauch
Mich fördern nur im Gehen.
Und die ins Angesicht mich küßt,
Sie will mir auch nicht schaden:
Es ist die Ferne, die mich grüßt,
Zu sich mich einzuladen.
6. Der Regen und der Sonnenschein
Sind meine zwei Gesellen,
Die, einer hinterm andern drein,
Abwechselnd ein sich stellen.
Der Regen löscht der Straße Staub,
Die Sonne macht sie trocken;
Daneben wollen Gras und Laub
Sie aus dem Boden locken.
7. Und spannt in seinem Wechselspiel
Sich aus ein Regenbogen;
Komm ich, entgegen meinem Ziel,
Darunter hergezogen.
Der Bogen ist für mich gespannt,
Weil ich darunter walle;
Zu Trägern sind die Berg ernannt,
Daß er aus mich nicht falle.
8. Und wo ein Dorf entgegen tritt,
Da hör ich Glocken läuten.
Sie meinen selber mich damit,
Was könnt es sonst bedeuten?
Sie läuten etwa einer Braut,
Vielleicht auch einem Todten;
Ich aber deut auf mich den Laut:
Ein Gruß wird mir geboten.
9. So zieh ich im Triumphgesang
Entlang die lange Straße;
1) In der „Sternseherin", welches Gedicht ich unbedingt für das gelungenste, und echteste Volks¬
lied unsers Claudius halte, weil es uns bei der einfachsten und anspruchslvfestcn Darstellung in die
tiefsten Tiefen des von Sehnsucht nach dem Höhern ergriffenen menschlichen Gemüthes blicken läßt, ist
es die Anschauung der Natur, die den Dichter beseelt, weil sie ihm ihre Bedeutung eröffnet hat."
H. Kurz. Um Mitternacht, wenn ich meine Arbeit gethan habe, und alle Hausgenossen schlafen, sehe
ich oft die Sterne am Himmel an, beim Aufblick nach oben beim Abendgebet, oder durch den Glanz
der Sterne hierzu veranlaßt (Str. 1). Sie gehen da am Himmel hin, zerstreut wie Lämmer oder auch
in einzelnen kleinen Haufen (in Rudeln, Sternbilder), immer aber in schönster Ordnung, wie die
glänzenden Perlen an der Halsschnur (Str. 2). Sie glänzen so schön, daß ich mich nicht satt daran sehen
kann (Str. 3). Dann sagt mir mein Herz (eine innere Stimme): es gibt doch noch etwas Besseres,
als die Welt (die Erde) mit ihren Leiden und Freuden (Str. 4). In diesen Gefühlen und Gedanken
werfe ich mich auf mein Lager und suche mir dieses bessere Etwas, das Göttliche, klar zu machen und
mich mit frommer Sehnsucht an dasselbe anzuschließen (Str. 5). — 2) Trete ich. — 3) Für die ihm
gewidmete Pflege. — 4) Nicht in der Absicht, daß er mir frommen sollte. — 5) Ein bei Goethe be¬
liebtes genitiv. Adv.